Vulgär und aristokratisch

■ Nelly Kaplans „Piratenbraut“ von 1969 kommt wieder ins Kino

„Wenn ich an Bernadette Lafont denke, dann se he ich ein Symbol in Bewegung, das Symbol der Vitalität und deshalb des Lebens.„Fran?ois Truffaut

Bernadette Lafont war immer etwas mehr als nur die Muse der Nouvelle-Vague-Regisseure und immer etwas weniger als ein Star. La fiancee du cinema, die Verlobte des Kinos, hat sie ihre Autobiographie überschrieben. Darin kann man viel vom Kampf um Unabhängigkeit und von selbstbestimmter Hingabe lesen. Genau wie im Schlußbild von Nelly Kaplans Film, der nun wieder ins Kino kommt: Marie, das ist Bernadette Lafont, verläßt ihr verhaßtes Dorf und folgt dem Versprechen eines Plakats, das einen Film ankündigt: „La fiancee du pirate“. Der Film erzählt Maries Geschichte und vom Leben im trostlosen Bauernflecken Tellier. Angekommen war Marie mit ihrer Mutter, die mittellos war, ohne Papiere, also von äußerst dubioser Herkunft. Man hat sie gedemütigt und ausgebeutet. Als die Mutter bei einem Verkehrsunfall getötet wird und die Dorfhonoratioren der Frau - möglicherweise ist sie nicht getauft - ein anständiges Begräbnis verwehren, sinnt Marie auf Rache. Zuerst bringt sie die schmerbäuchigen Biedermänner mit Hilfe von Alkohol und vielversprechenden Andeutungen dazu, ihre Mutter des Nachts zu beerdigen. Dann verführt sie die Männer des Dorfs. Als sie schließlich für ihre Liebesdienste Geld verlangt, wird sie der Dorfbourgeoisie endgültig unentbehrlich: Die Männer mögen zwar tagsüber voll moralischer Entrüstung gegen diese Metze zu Felde ziehen, abends treibt sie die nur notdürftig verhohlene Geilheit in ihr gastfreies Bett. Maries Geschäft läßt sich prächtig an, sie kann ihre Tarife nach eigenem Belieben in die Höhe treiben, nun ist es Zeit, zum letzten Schlag gegen die verlogene Gesellschaft auszuholen.

Nelly Kaplans Film ist die wahrscheinlich beißendste Attacke gegen die französische Landbourgeoisie, die in den sechziger Jahren entstand und nicht von Bunuel oder Chabrol inszeniert wurde. Lustvoll seziert die Piratenbraut die Korruption dieser Klasse und weiß sich dabei auch in bester französischer Literaturtradition. Maupassants Novelle Das Haus Tellier klingt nicht allein im Dorfnamen wider, sie lebt auch auf im ergötzlichen Schauspiel der Kleinbürger, die befürchten müssen, beim Gunstgewerbe in Ungunst zu fallen. Und Octave Mirbeaus Tagebuch einer Kammerzofe gibt ebenso zuverlässig die Dramaturgie vor: Das Objekt der Begierde dreht den Spieß um.

Nelly Kaplan hat schon 1969 begriffen, daß sich die Zielsicherheit einer Satire nicht allein der gnadenlosen Karrikatur der Figuren verdankt, es gibt immerhin auch eine sympathische Männerolle, die Michel Constantine (dessen Gesicht ungezählte französische Gangsterfilme der sechziger und siebziger Jahre bereicherte) spielt: den reisenden Filmvorführer Andre, der, nicht zufällig, kein Dorfbewohner ist. Nelly Kaplan wußte auch, daß eine Rachegeschichte wie diese am besten funktioniert, wenn die Zuschauer sich mit der Heldin identifizieren können. Marie geht mit fröhlichem Pragmatismus an ihr Rachegeschäft heran. Wenn Marie sich für die Freier schminken will und nichts anderes zur Hand ist, dann tut sie es eben mit Himbeersaft und Streichholzkohle. Wenn sie einen Plattenspieler kauft, dann nimmt sie als Dreingabe eine Platte mit, die gleich wie maßgeschneidert zu ihrem neuen Lebensgefühl paßt: „Moi, je me balance.“ Auch die Jahreszeiten - von schmutziger Februartristesse zu strahlender Frühlingssonne - passen sich der Wandlung der Heldin an. Die Regisseurin tat gut daran, sich vollständig dem Charisma und der Wandlungsfähigkeit ihrer Hauptdarstellerin anzuvertrauen. Bernadette Lafont mag sich anfangs etwas unwohl fühlen im geduckten Opferpathos Maries, sobald sich ihr jedoch die Chance bietet, trotzig und rotzfrech zu sein, genießt sie das in vollen Zügen. Wenn sie dann schließlich revoltiert, listig und einfallsreich, dann bekommt ihr Spiel endlich die ihr eigene sinnliche Qualität: sprunghaft, ausgelassen, agressiv und unverwüstlich. Dann umspielt auch dieser souveräne spöttische Zug ihre Mundwinkel, der ihrer vergnügten Vulgarität etwas einzigartig Aristokratisches gibt.

Gerhard Midding

Die Piratenbraut (La fiancee du pirate), Regie: Nelly Kaplan, Drehbuch: Nelly Kaplan, Claude Makovski, mit Bernadette Lafont, Georges Geret, Michel Constantine u.a., Frankreich 1969, 107 Minuten.