Zentralperspektivisch ins Nichts

■ „Morphium - Die Nadel“ von Raschid Nugmanov

Niemand wußte wohin. Nicht einmal er selbst.“ Ein russischer Schlager dudelt fröhlich den Vorspann. Die Untertitel beschwören Tristesse. Und doch ist es hell und bunt. Eine radiophone Erzählerin führt ein und aus. „Nun stellen wir Ihnen eine traurige Gestalt vor.“

Ein junger Mann verläßt den Zug. Viktor Zoj, Chef der sowjetischen Avantgarde-Band Kino spielt Moto, den Traurigen. Er sieht aus wie James Dean, nur asiatischer. Er ist wie James Dean, ohne Geschichte und angry. Anfänglich strahlt in Kasachstan noch die Sonne, über der Stadt, die Alma Ata heißt.

Als Moto durch die Schattenwelt der kleinen und größeren Ganoven wandert, ist es schon dunkel. Unter Männern dreht es sich duffus um Geld. Mit der morphiumsüchtigen Ex-Freundin Dina (Marina Smirnova) geht es um eine Beziehung, die keine mehr ist. Dialogfetzen werden ausgetauscht, nebenbei gibt es Verstrickungen mit der ortsansässigen Dorfmafia. Vielleicht ist Morphium - Die Nadel sogar eine Kriminalstory.

Zwischen den Bildern springt Zeit, gerafft und angezeigt in grünem Digital. Kommentare aus dem Off verbinden. Einmontierte Radio- und Fernsehaufnahmen spiegeln, kommentieren und verweisen quer. Ab und an verändern sich unvorhersehbar die Farben, manchmal sind Spuren in das Filmmaterial geritzt. Häufig dröhnt Musik, vom Hauptdarsteller komponiert. Nicht gerade angry, nicht gerade avantgardistisch.

„Ganz einfach ein moderner Film“, schreibt das Presseheft sichtbar low-budget und, nachdem das offizielle Drehbuch beiseite gelegt wurde, über weite Strecken improvisiert. Morphium - Die Nadel versucht, das Lebensgefühl einer (Sub)Generation einzufangen: jeanstragend und desillusioniert, mittendrin in jener seltsamen Zwischenzeit des Nichtmehr und Noch-nicht.

„No future“ in Grau-Braun, hell wird es wieder, als Moro mit Dina irgendwohin fährt, ans Meer. „Weißt du noch?“ Doch das Meer ist nicht das Meer, sondern der Aralsee, öde und ausgedörrt. Also gibt es kein Vorwärts, nur ein halbherziges Zurück.

Eben war Sommer, schon ist es Winter. Und es kommt, was kommen muß: ein Messerstich und Blut auf blauem Schnee. Der Held zündet sich eine Zigartette an. Dann geht er, mit einem nicht unerheblichen Loch im Bauch, zentralperspektivisch ins Nichts. „Wünsch mir Glück“, singt ein Schlager. „Mit dieser optimistischen Note beenden wir den Film“, kommentiert die Erzählerin. „Diesen Film widmen wir dem sowjetischen Fernsehen“, schreibt Regisseur Raschid Nugmanov im Abspann.

Michaela Lechner

„Morphium - Die Nadel“, UdSSR (Kasachstan) 1988, R.: Raschid Nugmanov. Mit Victor Zoj, Marina Smirnova, Pjotr Mamonow, 82 Minuten, Farbe