Überschäumende Freude: Verlorene Tochter kehrt zurück

■ Der Düsseldorfer Henkel-Konzern übernimmt das DDR-Waschmittelwerk in Genthin / Entlassungen drohen / Keine Probleme mit dem Umweltschutz

Aus Genthin Claudia Wuttke

Vor dem Verwaltungsgebäude des VEB-Waschmittelwerkes Genthin stehen drei schwarze Daimler größeren Typs. Sie gehören den Abgesandten der Henkel KgaA, die derzeit die anstehende Übernahme der Genthiner Produktionsstätte organisieren. Demnächst nämlich darf die ehemalige Tochtergesellschaft in den mütterlichen Schoß des Westunternehmens aus Düsseldorf zurückkehren. Die Treuhandanstalt - verantwortlich für die Privatisierung volkseigener Betriebe in der DDR - habe nach Angabe des geschäftsführenden Direktors für Beschaffung und Absatz, Muth, bereits ihr Ja-Wort gegeben.

Das heutige Kombinat wurde 1921 von Konzernchef Henkel gegründet, 1945 enteignet und in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt. Fortan wollen nun die Düsseldorfer mit Produktion und Vertrieb des Universalwaschmittels „Spee“ seit dem 1.Juli auch phosphatfrei - wieder ihren Gewinn machen. Die Aussichten sind gut, da in der Vergangenheit 80 Prozent der DDR-Haushalte ihre Wäsche in einer Spee-Lauge reinwuschen.

Dabei zeigt sich das Genthiner Unternehmen für die Besucherin von seiner denkbar heruntergekommensten Seite: Das Mauerwerk ist von Säure zerfressen, die Wege sind schlammig, Pfützen tragen zuweilen die Farbe lila, und der Geruch erinnert an einen Schlachthof.

Aber Henkel, so informiert Muth, wird das beschädigte Antlitz schon wieder liften: In den kommenden drei Jahren will der Konzern voraussichtlich „60 Millionen D-Mark investieren“. Das Kapital soll vor allem in Form von Sachmitteln, also Betriebsausrüstung und Anlagen, zur Verfügung gestellt werden.

Daß die Modernisierung Arbeitsplätze kosten wird, ist schon jetzt klar. Wieviele der zur Zeit etwa 1.600 Beschäftigten aber von den Entlassungen betroffen sein werden, darüber mag das Direktorium noch keine Auskunft erteilen. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat wird derzeit an „sozialverträglichen Stufenplänen“ gebastelt.

Fest steht für Muth allerdings, daß es nicht in erster Linie die Arbeiterinnen treffen wird. Sie überwachen hauptsächlich das reibungslose Funktionieren der Maschinen. Schließlich müsse, erhellt der Direktor den Sachverhalt, „dafür ja auch in Zukunft gesorgt werden“.

In der Abteilung Hauptverpackung sieht das unter Umständen anders aus: Auch dort kontrollieren hauptsächlich Frauen, ob das Pulver ordnungsgemäß in die hauchdünnen Pappkartons abgefüllt wird. Die kleinsten, die 330-Gramm-Pakete, sind für den Export in die Sowjetunion bestimmt. Betriebsingenieur Kolbe ist skeptisch, ob sie den Weißmacher in Zukunft auch gegen harte Devisen abnehmen werden.

Das Problem

der Liquidität

Aber die Betriebsleitung plagt im Moment ein anderes Problem: das der Liquidität. Zwar hat die Treuhandanstalt allen Betrieben 41 Prozent der beantragten Überbrückungskredite bewilligt, der dringend benötigte Rest läßt aber auf sich warten. Schon vor 14 Tagen habe er den kompletten Darlehensantrag bei der Deutschen Bank eingereicht, beschwert sich der Genthiner Finanzdirektor Mund, und nun erkundige sich das Geldinstitut gerade mal nach „dem Stand der Zusammenarbeit mit Henkel“. Ohne die baldige Versorgung mit Kapital betrachtet sich das - im Vergleich zu anderen Betrieben - relativ solide Unternehmen als zahlungsunfähig. Die Gründe hierfür liegen in den noch ungelösten Problemen, die die Währungsumstellung mit sich gebracht hat: Solange die Modalitäten zur Erstellung der D -Mark-Eröffnungsbilanz noch nicht geklärt sind, bleiben die „Guthaben quasi gesperrt“. Verbindlichkeiten hingegen müßten weiter beglichen werden, erläutert Mund das Problem, welches ohne Zwischenfinanzierung nicht gelöst werden kann.

Beinahe vergnügt nehmen die Direktoren hingegen zu der Frage nach dem praktizierten Umweltschutz Stellung. Die 1983 installierte biologische Abwasseranlage sei „wirklich gut“. Daß die Säure-neutralisierende Anlage wirklich einwandfrei arbeitet, wird zumindest von einem ehemaligen Mitarbeiter bezweifelt: „Es wäre mal interessant zu prüfen“, kommentiert er lakonisch, „ob da genug Kalk zugeführt wird.“

Nicht ganz einsichtig erscheint die Aussage, die Produktion des grobkörnigen Spee würde eine gesundheitsschädigende Waschmittelstaubentwicklung verhindern helfen: Da verwundert es ein wenig, wenn schon am Mittwoch Rohre, Mischer und Kessel mit einer feinen Pulverschicht bedeckt sind, wo doch an jedem Wochenende eine Generalreinigung erfolgt.

Stolz sind die Genthiner auf ihre eigene Energieversorgungsanlage: ein kleines Braunkohlekraftwerk. Zwar soll die Energieversorgung demnächst durch Ölverbrennung gesichert werden, bis heute aber wird die anfallende Schlacke in umliegende Spülbecken gepumpt, informiert Betriebsingenieur Kolbe. Das Wasser verdunstet oder sickert in das Grundwasser ab. Wieviel im Verbrennungsprozeß entstandenes Schwefeldioxid in den Rückständen enthalten ist, wurde bislang nicht untersucht.

Aber für potentielle Erkrankungen ist der Betrieb gut gerüstet: Zahnarzt und Allgemeinmediziner wirken direkt vor Ort. Auch Bäder, Packungen und Massagen können die ArbeiterInnen im Waschmittelwerk genießen. Die Leistungen sollen erhalten bleiben, sofern sie sich über die noch zu gründende Betriebskrankenkasse finanzieren lassen. Was wegfällt, ist auf jeden Fall die Erholung in den angemieteten Ferienheimen. Ob die werkseigenen Häuser im Bestand des Betriebs bleiben, ist noch ungewiß.

Ebenso ungewiß ist das berufliche Schicksal der Geschäftsführer. Muths Aussage dazu spiegelt die perfekte Synthese aus den Erfahrungen sozialistischer Vergangenheit und den Anforderungen einer kapitalistischen Zukunft wider: „40 Jahre DDR haben uns kollektives Denken gelehrt. Das Individuum zählt nicht, wenn es um die Perspektive des gesamten Betriebes geht!“