„Der PEN der BRD sollte nicht Sittenwächter spielen“

■ Hanns Werner Schwarze, Generalsekretär des bundesdeutschen PEN, will keinen Alleinvertretungsanspruch seines Verbandes und spricht sich für die Aufrechterhaltung von zwei deutschen PEN-Zentren aus.

taz: Der gescheiterte Versuch des westdeutschen PEN -Zentrums von Mitte Mai, exilierte DDR-Autoren im „vertraulichen Informationsgespräch“ über ihre ehemaligen Kollegen in der DDR urteilen zu lassen, hat einigen Wirbel verursacht. Was war Ihr Motiv für diese Veranstaltung?

Hanns Werner Schwarze: Es gab in Kiel Diskussionen über die Frage, ob auf lange Sicht zwei nationale PEN-Zentren erforderlich sind. Es gab Vorwürfe gegen einzelne Mitglieder, zum Beispiel gegen Klaus Höpcke. Darauf hat sich der DDR-PEN-Präsident Heinz Knobloch veranlaßt gesehen, eine Erklärung zugunsten Höpckes (unter dem SED-Regime stellvertretender Kulturminister und oberster Zensor des Landes, Anmerkung der Redaktion) abzugeben, zumindest eine Ergänzung des Bildes, das ehemalige DDR-Autoren von ihm gezeichnet haben. Das Präsidium des bundesdeutschen PEN hat nach dieser Diskussion in Kiel einstimmig beschlossen, zunächst einmal diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die entweder von der sowjetischen Besatzungsmacht oder aber von den DDR-Behörden bedrängt, verfolgt, teilweise verhaftet wurden, nach ihrer Meinung zu fragen. Es sollte ein vertrauliches Gespräch sein, das deshalb nicht zustande kam, weil von den Angeschriebenen nur drei Zeit hatten, hier in Berlin das vertrauliche Gespräch zu führen. Diese drei, aber auch andere haben dann auf Initiative der 'FAZ‘ ihre Meinung veröffentlicht.

Haben die Autoren nicht recht damit, sich nicht in die Richterrolle drängen zu lassen - zumal das PEN-Präsidium zur Pro-Höpcke-Erklärung geschwiegen hat?

Über die Höpcke-Erklärung ist in Kiel eine halbe Stunde lang diskutiert worden. Im nachhinein war es vielleicht deswegen ein falscher Versuch, weil wir gehofft hatten, es würden mehr Betroffene an einem internen, vertraulichen Meinungsaustausch interessiert sein. Die Wahrheit aber haben wir inzwischen erfahren - viele Schriftsteller waren weniger an einem vertraulichen Meinungsaustausch als an einer öffentlichen Deklamation interessiert. Der PEN will und darf weder Spruchkammer sein noch Notaufnahmeverfahren betreiben. Es war allen Präsidiumsmitgliedern selbstverständlich, daß ein vertrauliches Gespräch nie Denunziationscharakter hätte annehmen dürfen.

Ist es möglich, daß die angefragten Autoren kein volles Vertrauen zum PEN haben, nachdem in den letzten Jahren die Diskussion über Zensur und Repression in der DDR hier äußerst flach ausfiel?

Die beiden deutschen PEN-Zentren sind in den fünfziger Jahren entstanden und haben im internationalen Konzert oft und intensiv auch die deutsch-deutschen Auseinandersetzungen artikuliert. Aber sie haben lange vor der Wende versucht, im Interesse der Autoren zu kooperieren. Seit vielen Jahren gab es auf der internationalen Liste der Autoren im Gefängnis keinen deutschen Namen mehr - auch das hat mit einer Kooperation dieser beiden Zentren zu tun, wobei die gesellschaftspolitischen Unvereinbarkeiten immer offen ausgesprochen wurden. Ähnliches haben ja die Regierungen getan.

Aber wie wäre eine Zusammenarbeit von Klaus Höpcke mit Autoren, die von ihm zensiert und ausgewiesen wurden, möglich?

Mindestens in unserem Präsidium gibt es über die Unvereinbarkeit eines bundesdeutschen PEN mit Leuten wie Klaus Höpcke keine Diskussion. Die Diskussion beginnt bei Persönlichkeiten, die aufgrund ihres Lebenshorizonts - etwa als Verfolgte des NS-Regimes - die Position der DDR bezogen und diese propagiert haben. Aber zu dieser Diskussion müßte dann die Tatsache gehören, daß es sowohl im internationalen wie im deutschen PEN immer wieder überzeugte Marxisten, Kommunisten gab, die als wichtige Ausweise unserer Toleranzbreite gelten können. Der PEN hat gegen Radikalenerlasse immer gekämpft.

Wäre es nicht naheliegend, die Entscheidung an dem zu orientieren, was in der internationalen PEN-Charta steht? Dort wird verlangt, daß sich jedes Mitglied gegen jedwede Unterdrückung der Meinungsfreiheit einsetzt.

Sicher könnten wir den internationalen PEN auffordern, angesichts der Entwicklung in beiden deutschen Staaten Kriterien zu praktizieren, die so exakt auch in Staaten außerhalb Europas nicht praktiziert worden sind. Aber was berechtigt den PEN der BRD, wie Sittenrichter auszusortieren? Dies wäre dann wirklich Spruchkammer und müßte für die große Mehrheit unserer DDR-Kolleginnen und -Kollegen beschämend sein. Auch der internationale PEN würde dies nach meiner Überzeugung kaum akzeptieren. Also sollten wir hier im Westen an der Existenz zweier deutscher Zentren auf absehbare Zeit nicht rütteln, es gibt auch in anderen Ländern mehrere Zentren. Von uns aus die Selbstauflösung des DDR-PEN zu fordern - was auch Carl Amery so nicht gefordert hat - wäre eine Anmaßung, eine Neuauflage von Alleinvertretungsanspruch, den, wie ich meine, die große Mehrheit unserer Mitglieder klar und deutlich zurückweisen würde und der auch für mich absolut indiskutabel ist.

Interview: Reinhard Mohr