Für alle Beckett-Ewigkeit

■ „The Visual Press und Beckett directs Beckett“ - eine Werkstatt mit John Fügi an der Europäischen Sommerakademie

Wenn einer den toten Beckett bei sich hat, hat er etwas von Beckett an sich. Leichengeruch, üble Nachrede wegen Grabschändung, Häme, daß ein gehirnentleerter Schädel kein Beckett mehr ist, hin oder her: heute wird so ein Nekrophiler zu Kulturveranstaltungen geladen, wenn er behauptet, daß er den wahren Beckett im Koffer hat. Er braucht nur ein schwarzes Rechteck zu zücken, einen Damenfuß mal einen halben groß ...

Ein Weltreisender in Sachen Beckett-Originaldarbietung ist John Fügi; zwischen Moskau und Kopenhagen ist er für einen Tag in die Europäische Sommerakademie eingekehrt. Literaturprof im großen Amerika, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, den Text des heutigen Zeitalters, wie er es nennt: das Video, in der Welt populär zu machen. Um es den besonders Gestrigen und Renitenten, den Intellektuellen, schmackhaft zu machen, bietet er Beckett an. Text, so seine Theoriebildung, komme von Textil, meine ursprünglich den Stoff und erst später das Aufgedruckte. Heutige Texte seien nicht mehr auf Tontäfelchen oder Papier zu finden, sondern eben im Monitor.

Beckett im Buch zu lesen sei angesichts der Möglichkeiten wirklich absurd. Und Beckett am Theater immer neu und anders zu inszenieren, die beste Adaption zu suchen, Sprache körperlich zu machen sei nur Sache der Eitelkeit eines Regisseurs. Er, Fügi, habe die Optimalausführung im Kasten, es genüge, sie anzuschauen, und dein Leben lang brauchst du keine andere Inszenierung des Stücks mehr zu sehn. Dafür hat er seine „Visual Press“ gegründet, die in Zusammenarbeit mit anderen kulturprogrammierten Bilderdiensten Videoprogramme erstellt, die nicht dem 28- oder 56-Minuten-Takt des Fernsehens gehorchen müssen. Das ist die einzige von ihm zum Fernsehen gezogene Differenz. Er spricht nicht übers Material. Darüber, daß Video nie eine Theaterinszenierung ersetzen kann, weil es eben Aufzeichnung und keine psychische Präsenz ist, und daß es nicht mal für Bilder gut ist, weil es das Imaginäre dauernd symbolisch macht.

Die Videoproduktion wird den Theaterinszenierungen gleichgesetzt. Sie sei wie diese „ein Ding an sich“. John Fügi verwendet dazu ausgerechnet Beckett und ausgerechnet Becketts Stück Krapp's Last Tape (Das letzte Band), in dem es um die Verdoppelung einer Biographie durch ein Medium geht. Als hätte Beckett nicht speziell mit Fernsehen und Film gearbeitet und damit andere Dinge gemacht. Als hätte er nicht gerade in Krapp's Last Tape gezeigt, daß das „Aufgenommene“ wahrgenommen und eingearbeitet werden muß.

Dafür spricht Fügi davon, daß die von ihm aufgezeichnete Inszenierung die wahrste und eigentlichste ist, daß er sie gemacht hat, um der Nachwelt zu überliefern, wie Beckett es haben wollte. Beckett kommandierte vom Altersheim aus. Man brachte ihm das Schuhklackern einzeln in seine Stube. Und Beckett sagte amen und ja. So wird es als das Wahre in die Inszenierungsgeschichte eingehen. In einem Medium, das vom Original nichts weiß.

Um dem Märchen vom Original noch ein bißchen mehr Glaubhaftigkeit zu verleihen, baut man ein paar rührselige Geschichten drumrum. Von einem, der „lebenslänglich“ bekommen hatte und dank Beckett auf freien Fuß gesetzt wurde. Der Schauspieler Rick Cluchey, der durch Warten auf Godot, als er es im Gefängnis von St. Quentin sehen durfte, geläutert und zum besten Schauspieler des Erdenrunds ward. Er ist deshalb auch der Schauspieler des Krapp auf Fügis Video, und seine Schritte und Blicke und Töne werden jetzt das Schritt-Blick-Ton-Modell für alle Beckett-Ewigkeit sein.

Über Becketts Inszenierung wird selbstverständlich nicht gesprochen, sie gilt als sakrosankt. Besonders in der Akademie der Künste, weil dort Becketts Regisseurkarriere begann, weil er dort, so John Fügi, zum ersten Mal auf Rick Cluchey traf. Einer Schauspielerin des Berliner Ensembles kommen die Tränen: Wenn das Beckett ist, diese Exaktheit, dann hat er alles mit Brecht gemein. Am besten hat ihr natürlich die vorsprachliche Bananenszene gefallen: Krapp rutscht auf den Schalen, die er fallengelassen hat, wie zu erwarten, selber aus.

Daß der Schauspieler für das Video total überinszeniert ist, sagt keiner. Er sieht wie eine Mischung aus Dr. Mabuse und Käpten Ahab aus: Dauernd drohen ihm die Augen herauszufallen, er knallt die Tonbänder unverständlich laut auf den Tisch, stiert über das Gerät, als gelte es, den weißen Wal zu erspähen; er brüllt gegen die Decke, als fordere er den Allmächtigen heraus ...

Die Europäische Sommerakademie schafft und bestätigt Ikonen. Die Reauratisierung des Videos ist nur ein Beitrag dazu. Man lamentiert darüber, daß Videomacher nicht ernst genommen werden. Nicht an der Uni, nicht an der Akademie. Wenn sie sich selbst und ihr Medium nicht ernst nehmen, wenn sie nicht wissen, wovon sie reden, geschweige denn sehen, was sie sehen, wer sollte da hören auf sie.

Michaela Ott