Tennis mitten im Skiparadies

■ Ein lustloser Boris Becker ist der Top-Star eines Turnieres, das hoch hinaus will: die „Austrian Open“

Aus Kitzbühel Karl-Wilh.Götte

Boris Becker, der Top-Star des 375.000 Dollar-Turnieres in Kitzbühel, hat gerade im Schongang mit 6:2, 6:1 den Italiener Claudio Pistolesi besiegt, da fährt ein Kleinbus am Center Court vor und lädt die beiden Spieler ein. Dann bahnt sich der Fahrer im Schrittempo seinen Weg durch die gaffende Menge.

Boris Becker, der sich bei seinem Erstrundendebakel von 1985, als er als frischgebackener 17jähriger Wimbledonsieger gegen Diego Perez aus Uruguay einging, den geballten „Sitzkissenzorn“ des Publikums zuzog, wirkt dann auch ziemlich genervt. „Hier ist alles sehr eng. Viel hektischer als woanders“, meint der Leimener, der teilnahmslos wie selten seine Interviewpflicht abspult. Seine Ausstrahlung reduziert sich jedenfalls allein auf das Auftreten auf dem Platz. Ansonsten spürt man Lustlosigkeit. Bahnt sich hier das Wilander-Syndrom an?

Nicht nur das Gedränge auf dem schmalen Faden zwischen den Plätzen ist ungewöhnlich im Wintersport-Eldorado der Nordalpen. Für das diesjährige Turnier haben die Veranstalter einen provisorischen Center Court für 700.000 Mark errichtet. „Am 15.Juni war da noch eine Wiese“, bekennt nicht ohne Stolz Turnierdirektor Dieter Küchenmeister, der so etwas wie ein leidenschaftlicher Sportverrückter ist. Mit 54 Jahren hat ihn jetzt das Curling-Fieber gepackt. Als Mitglied des österreichischen Nationalteams nahm er letztes Jahr sogar an der EM teil.

„Wir mußten den Zuschauern etwas Besonderes bieten“, holt Küchenmeister aus. „1989 kamen 45.000 Besucher. Tausende Kartenwünsche konnten wir nicht befriedigen“, schildert er die Zwangslage der Kitzbüheler. Druck machte auch die Spielervereinigung ATP, der seit sechs Jahren vom Veranstalter ein neues Tennisstadion versprochen worden war. Lizenzentzug für dieses Turnier ab 1993 drohte.

So war das zwanzigjährige Sponsor-Jubiläum des Head-Cups, der professionellen Wende eines Turnieres, das bis zum Jahr 1898 zurückreicht, ein willkommener Anlaß, einen Stahlrohr -Center Court für 6.500 Zuschauer hinzustellen - direkt am neunten Grün, von dem der Wahl-Kitzbüheler Franz Beckenbauer sonst seine Golfkünste zu testen pflegt. Das Provisorium hat sich gelohnt. Die Veranstaltung ist seit Mittwoch, trotz gesalzener Kartenpreise von 50 Mark, ausverkauft. 60.000 Zuschauer werden diesmal die Kassen klingeln lassen.

„Das Hahnenkammrennen bringt es auf 1,5 Millionen, wir haben einen Drei-Millionen-Dollar-Etat“, zieht Küchenmeister, der seit 40 Jahren immer irgendwie in dieses Turnier involviert ist, einen, was die Publicity betrifft, allerdings hinkenden Vergleich mit der Veranstaltung, die Kitzbühel zu dem gemacht hat, was es ist.

Tennis in Kitzbühel fasziniert jedoch ebenso. Abends flanieren die Besucher in Scharen durch den malerischen Ort. Das Wetter erlaubt, daß südländisches Flair aufkommt. Die Menschen stehen an langen Theken bis spät in die Nacht im Freien und lassen den Alkohol in Strömen fließen. Der nur 9.000-Seelen-Ort verkraftet diese bereits traditionelle Invasion in der ersten Augustwoche ohne Mühe. 10.000 Gästebetten und zusätzlich noch einmal 50.000 in der unmittelbaren Umgebung schlucken die vornehmlich aus dem nördlichen Nachbarland angereisten Boris-Fans problemlos.

Kitzbühel hat noch einiges vor in Sachen Tennis. „Am 20.August erfolgt endlich der Spatenstich für den neuen Center Court“, gibt sich Dieter Küchenmeister erleichtert. Die „Grünen“, eine Gruppe „Regenbogen“ mußten sich geschlagen geben. Mit dem 10 Millionen Mark teuren „Casino -Stadion“ soll das Turnier weiter aufgewertet werden. Man will in eine höhere ATP-Turnierkategorie.

Dafür, daß dies mit Sicherheit gelingt, wird ein Wahl -Kitzbüheler sorgen. Ion Tiriac, der hier ein Jagdrevier sein eigen nennt, sitzt bei den „Austrian Open“ in der Turnierleitung und setzt natürlich dort die Maßstäbe. So hat er Küchenmeister davon überzeugt, daß nur an die Top-Ten -Spieler Antrittsgelder gezahlt werden, weil alles andere „ein Faß ohne Boden“, so Küchenmeister, sei. Alle anderen Spieler müssen für das blanke Preisgeld teilnehmen.

Diese Konsequenz war in diesem Jahr für die Qualität des 48er-Feldes noch von Nachteil, weil viele Spieler zwischen Platz 11 und 50 in der Weltrangliste auf ihr liebgewordenes Zubrot nicht verzichten wollten. So spielen diesmal viele Nobodys in Kitzbühel mit. 330.000 Dollar wurden ausschließlich, natürlich abgestuft nach der Güteklasse, gezahlt an Boris Becker, Brad Gilbert, der sich jedoch gleich nach der ersten Runde verabschiedete, Titelverteidiger Emilio Sanchez und Lokalmatador Thomas Muster, der ein unterhaltsames Doppel mit Becker („Wir hassen uns also nicht“) spielt.

Kitzbühel, 2. Runde: Carbonell (Spanien) - Motta (Brasilien) 6:2, 6:3; Strelba (CSFR) - Lopez (Spanien) 7:6, 6:2; Skoff (Österreich) - Saceanu (Neuss) 4:6, 7:5, 7:6; Rosset (Schweiz) - Sinner (Stuttgart) 6:2, 6:4; Vadja (CSFR) Piscariu (Rumänien) 7:6, 6:3; Tscherkassow (UdSSR) - Mronz (Leverkusen) 6:2, 6:1; Antonitsch (Österreich) - Colombo (Italien) 4:6, 6:3, 7:6; de la Pena (Argentinien) - Gilbert (USA) 6:2, 6:4; E. Sanchez (Spanien) - Roig (Spanien) 6:2, 0:6, 7:5; Muster (Österrreich) - Luna (Spanien) 6:2, 6:4

Los Angeles, 2. Runde: Sampras (USA) - Pearce (USA) 6:2, 2:6, 6:4; Stoltenberg (Australien) - Rostagno (USA) 6:2, 6:3; Goldie (USA) - Fleurian (Frankreich) 6:7, 7:6, 6:2; Chang (USA) - Sznajder (Kanada) 6:3, 6:3.

Montreal (Frauen), 2. Runde: Graf - Javer 6:1, 6:2; Hy Porwik 6:1, 6:1; Manuela Malejewa - Magdalena Malejewa 4:1 (Magdalena Malejewa aufgegben); Sawamatsu - Field 6:1, 6:3; Paulus - Phelps 6:7, 6:4, 6:4; Richardson - Gomer 7:5, 6:2; Zwerewa - Loosemore kampflos; K. Malejewa - Cordwell 6:0, 6:2; Capriati - Green 6:4, 6:0; Sabatini - Rinaldi 6:0, 6:3; Tauziat - Bowes 6:4, 4:6, 7:6; Kelesi - Minter 6:4, 6:4; Reggi - Werdel 6:1, 6:0; McNeil - Baranski 6:4, 6:0; Durie Sawtschenko 6:2, 4:2 (Durie aufgeben); Benjamin - Bollegraf 4:2 (Bollegraf aufgegeben).