La Ciotat - eine südfranzösische Werft im Widerstand

■ Arbeiter besetzten 23 Monate die geschlossene Tankerwerft - dann fand sich ein investitionswilliger US-Kapitalist / Brüssel fordert Subventionen zurück

Aus Marseille A.Smoltczyk

Dreißig Kilometer östlich von Marseille, inmitten der Kreidefelsen der Calanques, liegt La Ciotat in schönster mediterraner Augusthitze. Auf den exponierten Körpern am Strand dampft das Sonnenöl, Surfer krallen sich an ihre Bretter, und in den Pinien knarren die Zukaden - kurz: ein Bild des Friedens, und so könnte dieser Artikel auch schon heiter schließen, wenn nicht das sonnige La Ciotat gleichfalls Schauplatz heftiger Strukturveränderungen und eines bemerkenswerten Arbeitskampfes wäre...

Doch nicht um Pastis-Brennereien oder Fischfabriken geht es den La Ciotanesen, sondern um Tanker, genauer gesagt: Supertanker über 200.000 Tonnen, jene in Europa längst ausgestorbene Spezies, die seit Mitte der Achtziger nur noch in den Küstengebieten Südostasiens heranzuwachsen pflegt.

Und tatsächlich: Hoch über der Fischerkirche Notre Dame schwebt in hundert Metern Höhe eine immense Laufkatze, ein gigantischer Hebekran made by Krupp, auf dem für jeden sichtbar das Signet der neuen Zeit prangt - „Lexmar France“. Für die meisten Stadtbewohner ist dieser Firmenname so etwas wie das „Ave Maria“ in Oberbayern, nur, daß sich seit dem 18.Juli, als der Departementsrat „Lexmar France“ die Konzession für die Inbetriebnahme der Werft gab, die Realisierungschancen für das Wunder - die Wiederauferstehung von La Ciotats Schiffsbau - deutlich erhöht haben.

Rückblende. Zum Höhepunkt der Werftenkrise beschließt die sozialistische Regierung 1982 die Fusion der drei französischen Großwerften Dünkirchen, La Seyne-sur-Mer und La Ciotat zur „Normed“.

Die Auftragsbücher werden dadurch allerdings nicht voller, und als die ultraliberale Regierung Chirac im Sommer 1986 beschließt, der „Normed“ die Subventionen zu streichen, mit der bislang die Preisdifferenz zu den asiatischen Konkurrenten ausgeglichen wurde, müssen die drei Werften ihren Bankrott erklären. In der 30.000-Einwohnerstadt La Ciotat verlieren 4.000 Werftarbeiter und -ingenieure ihren Job. Kurzentschlossen besetzen 105 Werftarbeiter das Gelände.

Langes hin und her. Dann finden sich plötzlich zwei Interessenten. Einmal Bernard „Adidas“ Tapie, notorischer Firmenaufkäufer und Präsident des Fußballklubs Marseille. Er bietet sich an, in La Ciotat Luxus-Yachten bauen zu lassen.

Der andere Interessent ist „Lexmar“, ein schwedisch -amerikanischer Schiffseigner, der in Schiffsbau und anderen industriellen Aktivitäten so viel Erfahrung hat wie Beckenbauer in der hohen Kunst des Boule-Spiels bislang keine. Dennoch finden sich US-Banken, die dem Konzern die nötigen Kredite für das ehrgeizige Vorhaben zusagen: Lexmar möchte nämlich keine Yachten, sondern Supertanker bauen - und findet damit nicht nur die volle Unterstützung der „105 von La Ciotat“, die 23 Monate lang ihre Werft besetzt gehalten haben, sondern auch die Sympathien des Departement-Rats, in dem Sozis und Kommunisten die Mehrheit haben.

Einheitsfront

mit US-Kapital

Die sozialistische Regierung in Paris dagegen hält Lexmars Projekt für „unseriös“ und stärkt Tapie den Rücken, der für sie schließlich auch im Parlament sitzt. Nur hat Paris seit der Dezentralisierung keinen Einfluß mehr darauf, wem die Konzession zum Betrieb der Werft gegeben wird: das entscheidet einzig das Departement. Der konservative Bürgermeister von La Ciotat seinerseits möchte das Gelände am liebsten in kleine Parzellen aufteilen und an Touristikspekulanten verkaufen. Statt Supertanker Edelfreizeit mit Yachthafen und Spielkasino...

Im Schatten des Laufkrans sitzen braungebrannte Männer in Bermudas und streicheln eine Katze: trotz ostentativen Freizeitverhaltens bilden sie den Kern jener „105“. „In La Ciotat werden seit 150 Jahren Schiffe gebaut. Wir lassen uns doch nicht zu Affen machen, die den Reichen ihre Surfbretter schrubben...“, findet Juan Reboredo, ein galizischer Schweißer und seit zwanzig Jahren in La Ciotat. Anders als die meisten seiner Kollegen hat er 1987 die Entlassungsprämie von 200.000 Francs abgelehnt: „Die meisten, die mit dem Geld ein Geschäft aufgemacht haben, sind heute pleite.“ Wieder andere haben die Prämie kassiert

-und von dem Geld die Werftbesetzung finanziert. Die Hälfte der Entlassenen muß inzwischen von 2.000 Francs Stütze im Monat leben.

Da war es besser, knapp zwei Jahre unterm Hebekran zu sitzen und dafür zu sorgen, daß die Maschinen nicht verrotten. „Die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sauberkeit in der Werft liegt in Eurem eigenen Interesse“, ermahnt ein Schild im Inneren des Verwaltungstrakts, wo die kommunistische Gewerkschaft CGT ihr Büro eingerichtet hat.

„Die Arbeiterbewegung hat noch nie die Kühe geschlachtet, unter denen sie saß“, so erklärt CGT-Chef Jean Rodriguez die merkwürdige Einheitsfront von US-Kapital und den Klassenkämpfern der CGT. „Klar, daß Lexmar Profit machen will - es ist nur die Frage, womit Profit gemacht wird. Frankreich braucht seine eigene Schiffsindustrie. Es ist ein Risiko, aber: Nur wer nichts riskiert, macht keine Fehler!“

So denken auch die Investoren von Lexmar. Ihr Kalkül setzt darauf, daß der Boom im Schiffbau anhält. Nachdem der Golfkrieg zu Ende, der Handel zwischen Fernost und Europa dagegen in vollem Gange ist, wächst die Nachfrage nach Transportkapazität. Schon im letzten Jahr wurden 21 Prozent mehr Bruttoregistertonnen vom Stapel gelassen als im Vorjahr, für 1990 rechnet Lloyds sogar mit einer Steigerung von 34 Prozent. Die Preise reagieren lehrbuchmäßig: Ein 240.000 Tonnen-Kahn kostete vor vier Jahren noch 40 Millionen Dollar. Heute ist es das dreifache. Also: Alle Mann in die Boote!

Lexmar-Chef Benoit Bartherotte versichert, von italienischen Reedern Festaufträge für vier Großtransporter zu haben. Auch ohne einen Sou staatlicher Subventionen, so „Lexmar-France“ und CGT im Chor, würde sich dank dieses Auftrags die Wiedereröffnung der Werft in La Ciotat rentieren. Die CGT schloß mit Lexmar ein Lohnabkommen. 6.500 Francs (2.100 Mark) Basisgehalt - das liegt über einem normalen Industriearbeitergehalt in der Provence. „Lexmar hat dem Departementsrat zugesagt, in den nächsten 24 Monaten 350 Millionen Francs zu investieren. Dann wären wir die modernste Anlage in Europa“, meint Rodriguez. Lexmar hofft außerdem, von den jüngsten Tankerkatastrophen zu profitieren. La Ciotat sei, so ein Werbespruch, der sogar die Marseiller Grünen zu Tankerfreunden werden ließ, eine der wenigen Werften, die das Know-how für die Produktion doppelwändiger, also „sicherer“ Supertanker habe.

Ein Anker aus

Brüssel

Liefertermin für die vier ersten Schiffe ist 1992. Also höchste Zeit, das erste Schiff auf Kiel zu legen. Dazu braucht Lexmar, bei allem guten Willen der CGT-Schweißer und dem Plazet des Departements, die passenden Kräne und Hebevorrichtungen. Die allerdings gehören großenteils der staatseigenen Bank „Worms“. Trotz der Skepsis Rocards haben die Banker letzte Woche zugesagt, die Maschinen an Lexmar zu vermieten. Damit könnte es losgehen - doch nun erklärte die EG-Kommission, sie bestehe auf der Rückzahlung von zwei Milliarden Francs, die Paris 1988 von der EG zur Strukturförderung der Region als Schließungsprämie ausgezahlt worden ist - unter der Bedingung, daß auf den Normed-Werften fünf Jahre lang kein Schiff gebaut werde. Die Hälfte der Summe, rund 400 Millionen DM, soll nach Ansicht der Brüsseler Lexmar tragen, weil das Geld teilweise für den Unterhalt der Anlagen verwendet worden sei.

Unterm Hebekran von La Ciotat will man davon nichts wissen: „Frankreich hat bisher 130 Milliarden Franc an die EG gezahlt. Dagegen sind die zwei Milliarden doch lächerlich.“ Und Lexmar-Chef Bartherotte fühlt sich „nicht betroffen von geheimen Abkommen zwischen der EG und der Regierung“.