„Jede Frist ist willkürlich“

■ Für die Fristenregelung einzutreten, ist der falsche Schachzug

DEBATTE

Fünfzehn Jahre nach dem Verfassungsgerichtsurteil gegen die Fristenlösung, vierzehn Jahre nachdem wir mit ohnmächtiger Wut die Installierung des angeblich so liberal „reformierten“ Paragraphen 218 hinnehmen mußten - wer hätte es für möglich gehalten, daß jetzt auf einmal wieder Bewegung in die festgefahrene Situation kommt?

Glückliche Zeiten! Endlich eine Chance für Feministinnen einzugreifen und mitzumischen! Das erste Mal seit Beginn der siebziger Jahre bietet sich die realistische Chance, diesen alten Schandparagraphen mit ernsthaften Erfolgsaussichten anzugreifen. Wenn das nicht gelingt, werden wir uns wahrscheinlich wieder auf Jahrzehnte in der politischen Defensive befinden. Es gilt also eine historische Gelegenheit klug zu nutzen. Aber was heißt hier klug? Da fängt der Streit schon an!

Süssmuth wird jetzt von allen Seiten bescheinigt, daß sie den Paragraphen 218 abschaffen wolle. Das ist natürlich völliger Unsinn. Nicht die Abschaffung, sondern seine Modifizierung ist ihr Anliegen. Mutig genug scheint es mir für eine CDU-Politikerin zu sein, daß sie vom Entscheidungsrecht der Frau spricht und Memminger Verhältnisse ausschließen will. Doch zugleich ist ihr Vorschlag nichts als die konsequente Fortsetzung der Politik, die ihr Vorgänger im Familienministerium, Heiner Geißler, schon 1984 eingeschlagen hat: Eine Kriminalisierung der Abtreibung hindert Frauen nicht daran, es trotzdem zu tun, aber eine geschickt angelegte Ideologiekampagne kann ihnen furchtbare Gewissensqualen bescheren, die sie langfristig mürbe machen und den unfreiwilligen „Willen zum Kind“ stärken könnten.

Süssmuth und Geißler setzen nicht wie die dummen Bayern auf eine Verschärfung der Notlagenindikation, sondern sie haben „Beratung“ zum gefährlichen Kampfbegriff gemacht. Der Süssmuth-Vorschlag zum §218 bereitet dem Beratungsgesetz ideologisch den Boden, nachdem es sich bisher als politisch nicht durchsetzbar erwiesen hatte. Schnüffelei und moralische Panikmache, Kontrolle und Indoktrination der ÄrztInnen und Beratungsstellen und ihre Disziplizierung mittels der Krankenkassenfinanzierung sind die Süssmuthschen Methoden der Gängelung. Das ist sicherlich besser als Memmingen. Aber eine Alternative ist es nicht.

Andere propagieren jetzt die Fristenregelung. SPD-Frauen, 'Emma‘, Teile der Grünen und einige Feministinnen halten das für den aktuell geschicktesten Schachzug. Ich finde das falsch. Weder ist die Fristenregelung inhaltlich eine akzeptable Lösung, noch ist es eine kluge Taktik, jetzt für sie einzutreten.

Die Fristenregelung ist nicht die Überwindung des §218, sondern seine Liberalisierung, und zwar eine durchaus weitgehende Liberalisierung. Die Dreimonatsfrist würde für Frauen eine reale Erleichterung ihrer Situation bedeuten, weil der allergrößte Teil der Abbrüche ohnehin in diesem Zeitraum vorgenommen wird oder zumindest vorgenommen werden sollte. Doch vom Selbstbestimmungsrecht kann nicht die Rede sein. Jede Form einer staatlichen Reglementierung der Abtreibung beinhaltet die Unterstellung an Frauen, sie könnten die Verantwortung in dieser Frage nicht vollständig allein übernehmen. Jedes Schwangerschaftsabbruchgesetz, und sei es noch so liberal, erklärt Abtreibung zu einer außergewöhnlichen und damit belasteten Angelegenheit anstatt endlich zu akzeptieren, daß es sich um eine normale Erfahrung im Leben vieler Frauen handelt. Jede Frist ist willkürlich und ethisch nicht zu begründen. Weshalb soll verwerflich sein, was zwei Tage zuvor noch erlaubt war? Erfahrungsgemäß bewirken nicht gesetzliche Fristen, daß was medizinisch und psychologisch sinnvoll ist - ein Schwangerschaftsabbruch zum frühest möglichen Zeitpunkt vorgenommen wird, sondern Aufklärung, Entkriminalisierung und eine angstfreie Atmosphäre. Auch die Fristenregelung entspringt einem patriarchalen Bevormundungsanspruch gegenüber Frauen. Grund genug, weiterhin für die ersatzlose Streichung des §218 einzutreten!

Doch was ist mit dem taktischen Argument, die Streichung sei ohnehin nicht durchsetzbar, und realpolitisches Eingreifen erfordere jetzt konstruktive Vorschläge für ein reformiertes Abtreibungsgesetz? Ich halte diese Überlegung für kurzsichtig. Die aktuelle Defensive der rechten Abtreibungsgegner ist nicht nur eine Folge von Memmingen und auch nicht nur die Konsequenz aus der Schwierigkeit, im Zuge der DDR-Einverleibung die Fristenregelung zu beseitigen. Sie ist auch ein Erfolg der Bewegung gegen den §218, die schließlich in den letzten Jahren argumentativ in die Offensive gegangen ist (zum Beispiel gegen den Tötungsvorwurf) und die wirkungsvollen Widerstand auf die Beine gestellt hat. Die Frauenbewegung gewinnt nicht an politischer Stärke, indem sie von ihren eigenen - inhaltlich nach wie vor richtigen - Forderungen abrückt, sondern nur, indem sie ihnen Nachdruck verleiht! Die Bonner Demonstration gegen ein „einig Memmingen“ und den §218 hat politisch tausendmal mehr bewegt als jede Feministin oder grüne Politikern, die sich aus taktischen oder sonstigen Gründen für die Fristenregelung ausspricht. Was wir jetzt brauchen, ist eine politische Offensive gemeinsam mit den Frauen in der DDR. In diesem Herbst müssen wir eine Kampagne gegen den §218 auf die Beine stellen, die sich gewaschen hat. Gegenwärtig plant ein deutsch-deutsches Frauenbündnis eine Großdemonstration gegen die Folgen des Anschlusses, und der §218 wird dabei im Zentrum unserer Kritik stehen. Solche Aktivitäten sind jetzt gefragt. Die Streichung des §218 werden wir in diesem Herbst nicht durchsetzen, das weiß jedes Kind. Ob wir die Fristenregelung bekommen, ist zumindest sehr fraglich. Durch eine Rücknahme unserer Forderung nach Streichung des §218 kommen wir ihr jedenfalls keinen Millimeter näher, sondern wir schwächen damit nur uns selbst. Umgekehrt gilt: Falls die Fristenregelung kommt oder selbst eine so zweischneidige Liberalisierung wie der Süssmuth-Vorschlag, dann wäre das ein gewaltiger Fortschritt und ein politischer Erfolg - der nur durch die radikale Gegenbewegung gegen den §218 möglich geworden ist.

Verena Krieger

Die Autorin war für die grüne Partei im Bundestag und bis Juni 1990 Vorstandssprecherin.