Saarland: Lebach macht gegen Roma mobil

■ Beinahe 2.500 Asylbewerber auf engstem Raum / Zustände im Aufnahmelager sind katastrophal, es besteht „akute Seuchengefahr“ / Läden blieben aus Protest gegen „Zigeunerlager“ geschlossen / Oskar Lafontaine läßt sich nicht blicken

Von Thomas Krumenacker

Lebach (taz) - „Ich bin ja gut raus“, freut sich die Buchhändlerin und Geschäftsführerin des Kaufmannvereins im saarländischen Lebach, Müller-Tirra: „Zu mir kommen die nicht, die können ja nicht lesen und schreiben“, setzt sie erklärend hinzu. „Die“, das sind etwa 1.400 jugoslawische und rumänische Roma, die in der Kleinstadt (8.000 Einwohner) zusammen mit rund 1.000 anderen Asylbewerbern und Aussiedlern im einzigen „Landesaufnahmelager“ des Saarlandes untergebracht sind. Die Zustände im Lager spotten jeder Beschreibung. Auf dem für 1.300 Menschen ausgelegten Platz halten sich annährend zweieinhalbtausend Asylbewerber und Aussiedler auf. Kinder spielen in brütender Hitze zwischen Kot und Müllhaufen. Wegen diesen hygenischen Verhältnissen wies der Stadtrat Dienstag abend in einer einstimmigen Resolution auf eine „akute Seuchengefahr“ hin. Die CDU -Landtagsopposition fordert aus dem gleichen Grund die Schließung des Lagers.

Streit unter den Lagerbewohnern bleibt nicht aus. Erst in der Nacht zum Mittwoch gab es eine Massenschlägerei, an der nach Polizeiangaben 300 Menschen beteiligt gewesen sein sollen. Vor allem gegen die rund 1.400 jugoslawischen und rumänischen Roma macht die beschauliche Kleinstadt seit Tagen mobil: Das städtische Freibad wurde gegen den Besuch der Roma, die sich geweigert haben sollen, Badekleidung anzuziehen, mit Stacheldrahtverhau umgeben, am Mittwoch blieben fast alle Geschäfte aus Protest gegen das „Zigeunerlager“ (CDU-Bürgermeister Nikolaus Jung) geschlossen. Nachdem es am Wochenanfang zu einer Rangelei zwischen Roma vor dem Rathaus gekommen ist, steht das Verwaltungsgebäude auf Antrag des Bürgermeisters unter Polizeischutz. Maximal nur 15 Roma dürfen seitdem gleichzeitig das Gebäude betreten. Auch in die Geschäfte dürfen die Asylbewerber nicht in beliebiger Zahl. Besonders vor den Lebensmittelmärkten stehen Polizisten, um die in Lebach unbefangen „Zigeuner“ genannten Asylbewerber beim Einkauf „zu begleiten“. In anderen Geschäften haben sie erst gar keinen Zugang.

Begründet wird dieses Verhalten oft mit einer „sprunghaft angestiegenen“ Rate an Ladendiebstählen und sonstiger Kleinkriminalität. Winfried Thewes, Leiter der Polizeidienststelle aus der Kreisstadt Saarlouis, sieht das jedoch etwas gelassener: „Im Monat Juli sind 110 Ladendiebstähle und ein Wohnungseinbruch registriert worden. Dazu kommen 15 Taschendiebstähle während der letzten beiden Lebacher Wochenmärkte“ - wohl kaum Zustände, bei denen die Lebacher Polizei ernsthafte Sicherheitsbedenken haben könnte.

Die Angst vor den Roma nimmt stellenweise dennoch hysterische Züge an. Mittwoch nachmittag blieben alle Läden zu, vereinzelt sah man verschanzte Fenster, Einsatzfahrzeuge der Polizei mit vergitterten Fenstern patroullierten durch die fast menschenleere City. 90 Polizeibeamte und zehn Streifenwagen waren in der saarländischen Kleinstadt im Ensatz. Anlaß für die Vorbereitungen auf den „Ausnahmezustand“ war die Einführung einer umstrittenen Neuregelung durch die Landesregierung Oskar Lafontaines: Um die „Attraktivität“ des Saarlandes für Asylbewerber zu „begrenzen“, werden an der Saar - wie in einigen anderen Bundesländern seit längerem üblich - die den Asylbewerbern zustehenden Sozialhilfesätze seit Mitwoch nicht mehr in bar, sondern in Form von Naturalien, also Verpflegung ausgezahlt. Nur ein kleines Taschengeld von 50 Mark monatlich bekommt jeder Erwachsene im Moment ausgezahlt. Betroffene Roma bewerten die Maßnahme als „Entmündigung“ und „Versuch, uns hier wegzukriegen“ - ein Drittel von ihnen verweigerte gar die Annahme des Geldes. Die für den ersten Zahltag in Naturalien befürchtete Eskalation blieb indes aus. Die Geschäftsleute machen aber weiter mobil: Mit einem zweitägigen Geschäftsschluß drohen diejenigen Händler, die sich durch die Roma in Existenznot“ gebracht sehen.

Durch die unmenschlichen Zustände im Lager zunehmend unter Beschuß gerät Ministerpräsident Lafontaine, der es bislang versäumt hat, sich vor Ort blicken zu lassen. Ein von der Landtagsopposition gefordertes zweites Aufnahmelager lehnt die SPD-Regierung ab. Sollte die Naturalien-Auszahlung keinen nennenswerten Rückgang der Asylbeweber bringen, werde versucht, einen großen Teil der Asylbewerber auf andere Bundesländer zu verteilen, kündigte Sozialministerin Krajewski an.

Außerdem, so das Rezept der Landesregierung, sollen 700 der in Lebach untergebrachten Aussiedler sowie rund 200 Asylbewerber, die aus außereuropäischen Ländern stammen, in den nächsten Wochen auf andere saarländische Gemeinden verteilt werden. Das verschiebe die Probleme nur auf andere Länder, kritisiert die Grünen-Abgeordnete Erika Trenz. Sie fordert „als ersten Schritt“ einer Dezentralisierung, die Roma-Familien „am Rande von Gemeinden in Wohnwagen- oder Containerdörfern unterzubringen, um damit der Lebensform der Roma gerecht zu werden“. Außerdem müsse pädagogisch geschultes Personal bei der Integration vermitteln. Ministerpräsident Lafontaine erhielt hingegen für seinen Schritt, die Sozialhilfe nicht mehr in bar auszuzahlen, Lob von ungewohnter Stelle. Bayerns CSU-Ministerpräsident Streibl lobte die Umstellung auf Naturalien-Auszahlung und bot an, „unverzüglich zusammen mit dem Saarland“ eine Arbeitsgruppe zu bilden, die innerhalb von vier Wochen „Sofortvorschläge zur Bewältigung der Asylproblematik“ unterbreiten solle.