„Wir setzen dem Magistrat die Pistole auf die Brust“

■ Instandbesetzer verlangen vom Magistrat die Wiederaufnahme der Verhandlungen / Die Angst vor neonazistischen Übergriffen wächst / Heute um 13 Uhr Demo am Frankfurter Tor

Friedrichshain. „Werden die Besetzungen gestoppt, werden wir das nicht hinnehmen! Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren - wenn ein besetztes Haus geräumt wird, geht das uns alle an!“ Dies erklärten gestern die BesetzerInnen von Häusern in der Friedrichshainer Kreutzigerstraße. In Karnevalsaufmachung, ihre Gesichter „aus Sicherheitsgründen“ hinter phantasievollen Masken verbergend, legten sie vor der Presse ihre derzeitigen Probleme dar. In einem offenen Brief wird der Magistrat für das Scheitern der Verhandlungen zwischen Stadtregierung und Besetzergremium verantwortlich gemacht. „Die vom Magistrat angeregte Materialliste“, heißt es in dem Papier weiter, „zur Winterfestmachung der Häuser, die von uns allen auch erstellt wurde, ist damit in den Sand gesetzt.“

Unmittelbarer Anlaß dafür, den Weg in die Öffentlichkeit zu gehen, war für die zum Teil aus West-Berlin stammenden BesetzerInnen das Verkünden der sogenannten „Berliner Linie“ bei Hausbesetzungen durch den Magistrat und die in diesem Sinne kürzlich erfolgte Räumung eines neubesetzten Hauses in der Oranienburger Straße in Mitte. „Solange noch Häuser leerstehen und verfallen“, erklärte einer der Besetzer, „sind wir für weitere Instandbesetzungen.“ Der Magistrat sei nun ultimativ aufgefordert, die Verhandlungen mit dem Besetzergremium fortzusetzen: „Wir setzen dem Magistrat die Pistole auf die Brust - wir fordern die Wiederaufnahme der Verhandlungen, sonst kann er sich seine 'friedlichen‘ HausbesetzerInnen an den Hut stecken!“

Dann berichteten die Instandbesetzer über ihre Angst vor neofaschistischen Übergriffen: „Eine Zeitlang fuhren hier täglich Autos durch die Straße, aus denen mit Leuchtspurmunition in unsere Häuser geschossen wurde. Eine Frau wurde von zwei mit einer Art Militäruniform bekleideten Männern gewaltsam entführt, mit vorgehaltener Gaspistole wurde sie gezwungen, Auskunft über die BewohnerInnen unserer Häuser zu machen. Viele Ausländer trauen sich kaum noch auf die Straße - aus Angst, zusammengeschlagen zu werden. Die Polizei erscheint entweder gar nicht, oder sie kommt viel zu spät.“ Es sei an der Zeit, über geeignete Selbstverteidigungsmaßnahmen nachzudenken.

Die BewohnerInnen der Kreutzigerstraße wollen jedoch nicht nur in den Häusern wohnen. Vielfältige kulturelle Initiativen sind geplant, einige schon realisiert. So richtete sie zum Beispiel ein seit langem leerstehendes Kino wieder her und veranstalteten dort für die Kinder der Umgegend Filmvorführungen. Ein Mieterladen ist angedacht, bei dem mit bundesdeutschem Mietrecht vertraute Fachleute den Kiezbewohnern Einblick in das auf sie zukommende Mietrechtssystem geben sollen; ein „food co op“ soll entstehen, dem die in arge wirtschaftliche Nöte getriebenen LPGs ihre Ware direkt anliefern. Andere DDR-Produkte sollen dort ebenfalls verkauft werden. Kinderfeste sind geplant, ein kleines Theater ebenfalls. Doch man habe eben auch Angst, daß auf Grund der „politischen Unfähigkeit des Magistrats“ die Projekte nicht realisiert werden können. So habe es die Stadtregierung bis heute nicht einmal fertiggebracht, ausreichend Container für den anfallenden Bauschutt zur Verfügung zu stellen.

Olaf Kampmann

Das VertragsGremium der besetzten Häuser ruft für heute um 13 Uhr am Frankfurter Tor zu einer Großdemonstration „gegen die katastrophale Wohnungspolitik und für eine Zukunft mit bezahlbaren Mieten“ auf.