„Bißchen Inbetriebnahme das gibt es nicht“

■ Berlins Umweltsenatorin Michaele Schreyer zum kleinen Reaktor am Wannsee und seiner großen Bedeutung

INTERVIEW

taz: Frau Schreyer, der Forschungsreaktor am Hahn -Meitner-Institut ist ein Winzling im Vergleich zu kommerziellen Atomkraftwerken, er produziert keinen Strom und nur wenig hochradioaktiven Atommüll. Ist dieser Reaktor das richtige Objekt für einen endlosen Koalitionskrach?

Michaele Schreyer: Es ist richtig, daß der HMI-Reaktor als Forschungsinstrument dient und nicht der Elektrizitätserzeugung. Trotzdem stellen sich gleiche Fragen wie bei der kommerziellen Nutzung der Kernenergie. Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um das Gefährdungspotential für die Bevölkerung reduzieren? Und vor allem: Gibt es eine Entsorgung der radioaktiven Brennelemente?

Nach den Vorstellungen des HMI, der SPD-Mehrheit im rot -grünen Senat und des Bundesforschungsministers sollen die abgebrannten Brennelemente im schottischen Dounreay zwischengelagert, vielleicht auch wiederaufgearbeitet werden. Was ist daran auszusetzen?

Es ist nicht klar, wohin die Brennelemente weiter entsorgt werden sollen. Das Atomgesetz schreibt - noch - die Wiederverwendung vor, das heißt Wiederaufarbeitung und wo das nicht möglich ist, die geordnete Beseitigung. Eine Zwischenlagerung ist keine geordnete Beseitigung.

Bisher ist in der Bundesrepublik der sogenannte Entsorgungsvorsorgenachweis für sechs Jahre stets als ausreichend akzeptiert worden.

Das ist nicht ganz richtig. Die entsprechenden Grundsätze schreiben darüberhinaus realistische Planungen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle vor. Das ist nicht mehr gegeben. Das Projekt der Wiederaufarbeitung in Wackersdorf ist von der Bundesregierung endlich beerdigt worden. Und nun hat die neue Landesregierung in Niedersachsen sehr deutlich gemacht, daß sie die Endlagerstätten Gorleben und Schacht Konrad nicht weiterbauen will. Zwei tragende Säulen des integrierten Entsorgungskonzepts sind damit zusammengebrochen. Wir haben eine neue Ausgangssituation. Eine Zwischenlagerung von sechs Jahren allein kann im Sinne des Atomgesetzes nicht ausreichen, wenn der weitere Verbleib der radioaktiven Stoffe nicht einmal im Ansatz geklärt ist.

Nun war es aber immer die erklärte Politik der SPD, Forschungsreaktoren auch nach einem Atom-Ausstieg weiter zu betreiben. Die SPD-Mehrheit im Senat beharrt jetzt einfach auf dieser Linie.

Bisher hat man sich um die Entsorgung der Brennelemente von Forschungsreaktoren überhaupt nicht gekümmert. Auch die Bundesregierung ist in ihrem letzten Entsorgungsbericht noch davon ausgegangen, daß die Entsorgung in Richtung USA weiterläuft. Dieser Weg ist seit Ende 1988 versperrt, weil die Anlagen in Savannah River aufgrund von Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Der Ausschuß der Staatssekretäre, der zur Fortentwicklung des Entsorgungskonzepts einberufen wurde, wird sich auch mit der Entsorgung der Forschungsreaktoren befassen. Auch die SPD-Länder sprechen sich mittlerweile gegen Verträge zur Wiederaufarbeitung im Ausland aus, solange nicht ein neues Entsorgungskonzept für die Bundesrepublik vorliegt. Der Vertrag zwischen NUKEM und der britischen Atombehörde über die Brennelemente des HMI wäre aber eine solche Vereinbarung, die neue und bindende Fakten setzen würde. Genau das lehnen die SPD-Länder zum jetzigen Zeitpunkt ab. Nur die SPD in Berlin tanzt hier aus der Reihe. Öffentliche Unterstützung für Ihre Position hat es bisher weder vom schleswig-holsteinischen Energieminister Jansen noch von einem anderen zuständigen SPD-Minister gegeben.

Speziell in Schleswig-Holstein als auch in Niedersachsen wird unsere Position unterstützt. Es wäre gut, wenn von dort dem Berliner Regierenden Bürgermeister Momper die Dimension dieser Entscheidung für die gesamte Entsorgungsfrage nochmals deutlich gemacht würde.

Glauben Sie denn ernsthaft, über den Reaktorwinzling in Wannsee die Entsorgungsfrage in der Bundesrepublik entscheiden zu können?

Natürlich können wir nicht mit der Thematisierung der Entsorgungsfrage des HMI-Reaktors den Ausstieg aus der Atomenergie in der Bundesrepublik beschleunigen. Das ist auch nicht unsere Absicht. Umgekehrt ist aber auch klar: Wenn wir in Berlin das, was das HMI bisher als Entsorgungsvorsorgenachweis vorgelegt hat, auf Biegen und Brechen als gesetzlich ausreichend interpretieren würden, dann fallen wir den SPD-geführten Bundesländern in den Rücken, die die Entsorgungsfrage im Hinblick auf den Ausstieg aus der Atomenergie thematisieren.

Fürchten Sie nicht, daß da in manchen SPD-Ländern heimlich auf freiwerdende Bundesforschungsmittel spekuliert wird, wenn Sie die Genehmigung verweigern?

Nein, das sicherlich nicht. Schadenfreude bei SPD-regierten Ländern über unsere Probleme kann ich wirklich nicht feststellen. Im übrigen ist der Forschungsreaktor ja schon seit 1985 nicht mehr in Betrieb. Der Wissenschaftsstandort Berlin hat dadurch nicht an Attraktivität verloren. Im Gegenteil: Die Bundesregierung hätte Anlaß zur Schadenfreude, wenn ausgerechnet das rot-grün regierte Berlin aus der Phalanx der SPD-geführten Länder ausbräche und ihre unhaltbare Position zur Entsorgungsvorsorge übernehmen würde.

Die Diskussion um den HMI-Reaktor findet nicht im luftleeren atomrechtlichen Raum statt. Die politische Gretchenfrage ist, ob die rot-grüne Koalition an diesem Punkt, wenige Monate vor Gesamtberliner Wahlen, auseinanderfliegen muß?

Es ist überhaupt nicht mein Interesse, diese Koalition platzen zu lassen. Ich setze mich für den Fortbestand der Koaltion ein und erwarte von der SPD, daß sie das gleiche tut. Die Frage, ob das vom HMI vorgelegte Entsorgungskonzept ausreicht oder nicht, ist keine politische Entscheidung und damit keine Senatsentscheidung, sondern eine der zuständigen Senatorin auf der Basis von Recht und Gesetz. Dennoch steht die Gefahr im Raum, daß die Berliner Koalition an einer ähnlichen Stelle zu zerbrechen droht wie seinerzeit in Hessen.

Wenn Sie bei ihrer Ablehnung der Betriebsgenehmigung bleiben, wird das HMI gegen den Bescheid klagen. Fürchten Sie nicht eine Niederlage vor Gericht, möglicherweise mitten im Wahlkampf?

Es gibt seit Jahren keine Entscheidung in atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, die nicht beklagt wird. Im Falle der Nichtgenehmigung klagt das HMI, im Falle der Genehmigung klagen die Bürger.

Gibt es noch Kompromißlinien?

Es gibt bei der atomrechtlichen Genehmigung eines Forschungsreaktors in dem Sinne keine Kompromißlinien. Es gibt nicht ein bißchen Inbetriebnahme. Das Atomgesetz hat auch keine Hintertüre, daß aus forschungspolitischen Gründen auf eine gesicherte Entsorgung verzichtet werden kann.

Die SPD will bei der Senatssitzung am Dienstag Nägel mit Köpfen machen. Was wird passieren?

Man wird über den HMI-Reaktor und meine bevorstehende Entscheidung beraten und dabei - gesetzlich bedenklichen politischen Druck auf die Genehmigungsbehörde ausüben.

Interview: Hans-Martin Tillack/ Gerd Rosenkranz