Empfängnishilfe

■ „Live At The Arctic Circle“ von Poems For Laila und „Outside Looking In“ von Flying Disc Men

BERLINER PLATTENTIPS

Die Westberliner Aufsteiger des letzten Jahres waren ohne Zweifel die Poems For Laila, die nach dem Gewinn des Senatsrockwettbewerbs auf dem besten Wege sind, die vakante Stelle der Rainbirds als berlineigengewachsener Kassenschlager einzunehmen. Es darf allerdings befürchtet werden, daß solch eine Veröffentlichungspolitik, wie sie die Poems momentan demonstrieren, auf der Schnellstraße in die Höhen der Charts etwas bremsen wird. Denn das neueste Werk ist eine Mini-LP mit vier Stücken, zudem live aufgenommen. Dies ist zwar ein netter Verweis an ihre Vergangenheit und Gegenwart als Independent-Band, aber für die angestrebte Zukunft denkbar ungeeignet - aus den Schuhen sind sie eigentlich rausgewachsen. Oder hat schon mal jemand gehört, daß eine Live-Mini-LP die Charts stürmte? Soll denn ein normaler, leicht übergewichtiger Radio-Hörer, wenn er sich dann doch mal eine Platte kauft, nach zwei Stücken schon wieder aufstehen und umdrehen? Zum Abspülen ist das sowieso zu kurz. U2 haben das zwar mal geschafft, aber in der Gewichtsklasse boxen die Poems noch nicht. Hier sollte gelten: Single, dann LP nachschieben und noch eine Single auskoppeln und im nächsten Jahr alles von vorne.

Trotz allem (oder gerade deshalb) ist Live At The Arctic Circle (Vielklang, EFA) eine nette Idee. Eine Seite aufgenommen in der UdSSR (inklusive halbminütiger russischer Ansage), die andere in Finnland; alles neue Stücke und bisher noch nicht auf Vinyl. Zu bemerken ist auch noch die nette Dreistigkeit, daß die Pommes es schaffen, innerhalb von 15 Minuten eine Ansage und das Vorstellen der Musiker samt Mini-Solo unterzubringen. In den Siebzigern gab's das zwar auch, aber da waren Live-Platten auch noch Doppel-LPs.

Bestes Stück für mich ist Come To Me. Nicht nur, weil Melissa hier ganz allein singt und dadurch der etwas peinliche Akzent von Nikolai bei Fremdsprachen entfällt, sondern vor allem weil hier mit einem sinistren gestrichenen Kontrabaß und der klaren Stimme von Melissa der Kitsch voll durchschlägt. Genau die Dosis Kitsch, die die große Chance der Poems gewesen wäre, sich endgültig und auf ewig in mein Herz einzubrennen. Aber anstatt die hoffnungsvoll verträumten Anfänge mehr auszubauen, hüpfen sie auf den Speed-Folk-Zug, um die schüchternen Versuche von Müslis und sonstigen Studenten zu befriedigen, sich von den Pogues kommend mit Ethno anzufreunden. Daß dies nach mehr als zweijähriger, konsequenter Vollballerei mit Weltmusiken aus aller Herren Länder (von den authentischen „Heimatklänge„ -Reihen bis zur discokompatiblen Ofra Haza) genau der Weg war, um toll groß zu werden und endlich mal Geld zu verdienen, war clever und richtig (das kommt natürlich immer auf den Standpunkt an). Nur ich persönlich als einsamer Unker in einer gefühligen Wüste, muß deshalb den fast vollständigen Verlust der triefenden Schnulzseite der Pommes beklagen.

Im Gegensatz dazu stehen die Flying Disc Men erst noch am Anfang einer Karriere, die zudem ganz sicherlich nicht so steil wie die der Poems verlaufen wird, obwohl Outside Looking In (Jelly) schon ihre zweite LP ist. Die FDM sind Labelkollegen von Hirn und den Testbildtesters, und damit ist schon mal klar, daß es hier mehr um Spaß als um Wir -machen-Musik-und-wir-wollen-dabei-ernst-genommen-werden geht. So kokettieren sie mit einem extraterrestischen Image („We are not of this earth / We are strangers from another world“ und krude Symbole und Messages auf dem Cover) und sehen doch nur aus wie die netten Kreuzberger Suffköppe aus der Lieblingskneipe deiner Wahl.

Und auch musikalisch bleibt Outside Looking In eher am Boden. Hier fällt einem alles ein, was von den Siebzigern heißgeliebt und billig war, von Bachman Turner Overdrive in der schwerblütigen Rhythmus-Gitarrenarbeit bis zu Hippie -Mainstream (etwa Scott McKenzie) bei mancher Phrasierung des Gesangs und den öfter parodistisch anmutenden Wichs -Soli. Und immerhin ist das kein Hardcore, sondern Rock, und dafür sind wir schon mal dankbar. Vor allem der Beginn der Siebziger klingt ständig an, zumindest die Seiten, die das Gedächtnis, das dazu neigt, Unangenehmes zu verdrängen, noch bewahrt. Nichtsdestotrotz sind die FDM ganz eindeutig eine Band der Achtziger (die Musik der Neunziger habe ich bisher noch nicht gehört). Hier geht es weniger ums Kopieren als um die Überführung von Reminiszenzen in die Gegenwart.

Den FDM gelingen ein paar wirklich nette Hippe-Hymnen, zum Beispiel das schon vorher als Single erschienene Avalanche, samt einschlägiger Zeilen wie „The wave of summer has kissed the sky“ (remember Jimi Hendrix: „Excuse me while I kiss the sky“), schön kurzen Dudel-Soli und jeder Menge „nananadadananana...“.

Manchmal, so in Truth About Spring wird's ganz langsam und sphärisch, der Baß rollt, die Gitarre woopt und wahwaht, und wir sollten noch ein paar Pillen werfen, bevor wir uns das anhören.

Die gar nicht so schlechten Songs, scheitern einzig an der saft- und kraftlosen Produktion. Das Schlagzeug dümpelt im Hintergrund, den Baß kann man nur ahnen, und die Gitarren klingen wie durch Röhrenradios gejagt. Kleiner Schwachpunkt auch der Sänger Herr Märch Remy, der zwar allerhand gute Ansätze zeigt, aber leider ist sein Stimmchen zu dünn für die Böse Buben-Ausflüge, die der ab und an unternimmt. Trotzdem: guter bis sehr guter Versuch, noch ein bißchen üben und besser produzieren, und die Zukunft der Flying Disc Men als unsere liebsten Berliner Nachlaßverwalter des Seventies-Erbe ist gesichert.

Noch ein kurzer Tip am Rande: Böser Fehler wären Glitzeranzüge und Raumhelme.

Thomas Winkler