Oberschulkabarett Zehlendorf

■ Die „Passierten“ im Kaffee Graefe

In ihrer Presseerklärung kokettiert die junge Kabaretttruppe die „Passierten“, mit wegen Sommerloch gierig nach interessanten Stoffen suchenden Journalisten. Bloß weiß natürlich ein jeder, daß es gar kein Sommerloch gibt, nur „lieben sich die Deutschen“, wie neulich vermeldet wurde, häufiger im Freien. Es gibt kein Sommerloch, nur kann in der Hitze des Sommers sich kaum noch jemand vernünftig konzentrieren, um interessante Dinge zu berichten, vor- oder herzustellen. Also betrachtet man hübsche Schmetterlinge, die seit Tagen im Flur an der Wand kleben oder nutzt jede freie Minute, um die Seen in und um Berlin zu studieren. Die schönsten Seen heißen: Plötzensee, Schlachtensee, Krumme Lanke, Glienicker See, Sacrower See, Rahmer-, Wandlitz- und Liepnitzsee, Strausberger See und wer weiter fahren möchte, guckt sich den Buckower See bei Buckow an. In der Arbeitszeit wird über das, was passiert, berichtet, über „die Passierten“, die Freitagabend ihr neues Programm im Kaffee Graefe - einer ansonsten ganz hübschen Straße in Kreuzberg - meinten vorstellen zu müssen. Besonders witzig finden sie es, „Eintritt: 12 DM, erm.: 10 DM“ und vom „Ostler: 24 DM“ zu verlangen.

Im Hinterzimmerchen wird Kultur gemacht; mal kommt ein Dichter vorbei, mal ein Kabarett. Es ist sehr heiß, so heiß ist es, daß man seine Grundsätze vergessen möchte. Ausziehen darf sich jedoch nur die kleine Puppe als Modell eines kleinen Mädchens, das der Papi zum Kinderaktphotografen bringt; „ein Beruf mit Zukunft“, erfährt das interessiert schwitzende Publikum. Der Regisseur und Texter der Gruppe, Knud Kohr, ein junger Mann mit Halbglatze, hat aufmerksam den 'Stern‘ gelesen; die Puppe kriegt 'ne Banane zwischen die Beine und als nächstes wird der Spezialist für sodomitische Bilder annonciert. Gegeißelt wird viel, z.B. der Mann in einem Sketch zur „Aktion Humane Vergewaltigung“, wo er als Täter auf die Entsolidarisierungsschere aufmerksam macht, die dadurch entstehe, daß zum einen immer mehr Männer vergewaltigen würden, zum anderen kaum eine Frau das schön fände. Haha. Der 9te-November-Sketch führt von der Maueröffnung über die Reichspogromnacht zum Datum des vorderseitig beliebten 9.-November-T-Shirts. Auf der Rückseite steht 1923. Hitlerputsch. Das macht betroffen. Kathartisches Erwachen.

Böse Medienärsche werden vorgeführt, die aus dem Elend der Welt viel Geld machen, FDJler singen ihre Aufbaulieder, und es ist alles so trostlos, schon gehabt, vorhersehbar, so narzistisch debil wie die Satirezeitschrift 'Kowalski‘: Einer der „Passierten“ sitzt drogenabhängig unter den Yorckbrücken, eine andere wartet auf ihren „Prosadealer“, ein anderer hält in London einen Vortrag unter dem Titel „Unterversorgung und Trivialität der Vernunftkritik in der neueren Philosophie der Banater Schwaben“ und wird mit einem Telegramm herbefohlen: „komm rüber - stop - sonst Beule stop“ usw. usf. Keine Wut, kein Delirium, vor allem fehlt die Genauigkeit; Stereotypen vom „Irgendwie“ und „Du“ und „die Gabi fand das aber gar nicht schön„-Softi, von der Politologieschwätzerin, haben nur so ungefähren Halt in der Wirklichkeit.

Eine Frau heißt „Fenyala“ und fällt zusammen - wie einfallsreich - unter der Brause, die der Mann anstellt, um die Künstlichkeit der Frau bloßzustellen und da kann auch „der androgyne Tankwart“, der ganz hübsch begann - „ich mag zwar androgyn sein, aber ehrlos bin ich nicht“ - nichts retten.

Papa, Mama und die Freunde der Künstler klatschten, wie es sich gehört.

Detlef Kuhlbrodt

Die „Passierten“, bis zum 2.9. im Kaffee Graefe, Graefestraße 18; jeweils Fr.-So., 21 Uhr.