Mit einem Kasseler an die Fleischtöpfe

■ Die hessische SPD will mit dem Kandidaten Hans Eichel in die zweite rot-grüne Landesregierung / Der als Bürokratenhengst verschrieene SPD-Mann aus Kassel müßte allerdings noch aufgepeppt werden

Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - In der Parteitagsterminplanung hatte die SPD die Nase vorn. Bereits im Juni - mehr als ein halbes Jahr vor den Landtagswahlen im Januar 1991 - eröffnete die Partei mit der Wahl des spröden Kasseler Oberbürgermeisters Hans Eichel zum Kandidaten für das Amt des hessischen Ministerpräsidenten den Wahlkampf. Obgleich es für Eichel kaum Gegenstimmen gab, ist der Mann aus Nordhessen nicht unbedingt der Wunschkandidat der Parteibasis. Eichel wird vorgeworfen, ein „knochentrockener Bürokratenhengst“ zu sein.

Nur: eine Alternative zu Eichel hat es nicht gegeben. Der als „Luftikus“ apostrophierte Oberbürgermeister von Wiesbaden, Joachim Exner, der dem Mann aus Nordhessen vor Jahresfrist noch den Parteivorsitz streitig machen wollte, galt den bodenständigen Nordhessen schon damals als „Sicherheitsrisiko“. Und die Bremer Senatorin Vera Rüdiger, die von Exner als Ministerpräsidentenkandidatin ins Gedankenspiel gebracht worden war, hatte keine Lust, erneut gegen den seinerzeit nahezu einstimmig zum Parteivorsitzenden gekürten Eichel anzutreten. Hans Eichel ist also der neue starke Mann in der hessischen SPD: Parteivorsitzender und - sollte es bei den Landtagswahlen reichen - Ministerpräsident in Personalunion.

Die alte Garde der hessischen Sozialdemokratie hat auf dem Parteitag registrieren müssen, daß sie nicht mehr in die „neue Zeit“ paßt, in der Technokraten wie etwa der Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff Karriere machen und politische Urgesteine wie Holger Börner von der Bildfläche verschwunden sind. Der Grandseigneur der hessischen SPD, EX-Justizminister Günther, wollte zwar vor Jahresfrist als ältester Platzhirsch noch Parteivorsitzender werden, doch als sich im Parteivorstand eine Mehrheit für Eichel abzeichnete, verzichtet er freiwillig auf die Kandidatur. Landtagsvizepräsident Günther und auch Armin Clauss warten nun auf einen Ministerposten im Frühjahr 1991.

Der Kampf der sozialdemokratischen Männerriege um die Ministerämter einer erwarteten rot-grünen Landesregierung hat hinter den Kulissen an Schärfe noch zugenomen, seit klar ist, daß Eichel ein paritätisch besetztes Kabinett installieren will. Und der zukünftige Juniorpartner wird sich mit einem Ministeramt nicht mehr abspeisen lassen.

Die Genossen

wollen keine Frau

Daß die Vorsitzende der SPD Hessen-Süd, die Bundestagsabgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul - auf dem letzten Parteitag zur Spitzenkandidatin für die kommenden Bundestagswahlen gewählt - nicht Ministerpräsidentin von Hessen werden will, hat insbesondere den linken Flügel in der Partei enttäuscht. Die „rote Heidi“, wie die kämpferische Frankfurterin und ehemalige Juso -Bundesvorsitzende in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren von Gegnern wie Freunden genannt wurde, kennt die Kräfteverhältnisse in der hessischen SPD: Eine Frau als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin ist in dieser Partei - trotz Quotenregelung - noch immer nicht durchsetzbar. Und das eher konservative Nordhessen stellt konstant die Mehrheit der Delegierten bei den Landesparteitagen der SPD.

Die Partei selbst scheint sich inzwischen vom Schock der Wahlniederlage von 1987 erholt zu haben, auch wenn die Landtagsfraktion bis heute wenig kämpferisches Profil zeigt. Das parteiinterne Hauen und Stechen, das in der Ablösung des alten Vorsitzenden und Wahlverlierers Hans Krollmann gipfelte, scheint die Fraktion paralysiert zu haben, so daß die Grünen im hessischen Landtag zu den eigentlichen politischen Impulsgebern auf der Oppositionsbank avancieren konnten. Doch immerhin ist die nach den verlorenen Landtagswahlen demonstrierte Weinerlichkeit einem festen Blick noch vorn gewichen: „Vorwärts und vergessen.“

Seit Mitte Juni ist nun Eichel der unangefochtene Spitzenkandidat einer Partei, die bei der Hessenwahl zurück an die Fleischtöpfe will. Da Wallmanns Stern sinkt, könnte am Ende selbst der mit dem Charisma einer nassen Nudel ausgestattete Kandidat - zusammen mit den Grünen - im Frühjahr 1991 tatsächlich die Nase vorn haben. Der Pressesprecher der Grünen im hessischen Landtag, Georg Dick, jedenfalls ist der Meinung, daß Wahlen nicht unbedingt gewonnen, sondern verloren würden. Und von daher hätten SPD und Grüne große Chancen, den Liberalkonservativen das Hessenland wieder abzujagen. Ministerpräsident Wallmann hat, so scheint es, mit der Vorverlegung des Wahltermins vom April auf den Januar unsicheres Terrain betreten. Der Ex -Bundesumweltminister und Ex-Oberbürgermeister von Frankfurt will sich von der Vereinigungswelle nach den Bundestagswahlen erneut nach oben spülen lassen.

Auf jeden Fall werden die Hessen bei den Landtagswahlen erstmals mit einem neuen Wahlsystem konfrontiert werden. Auf Drängen der FDP wurde mit der Koalitionsmehrheit auch in Hessen die Zweistimmenwahl eingeführt. Davon werden - neben der FDP - auch die Grünen profitieren, die schon bei der vergangenen Landtagswahl mit 9,8 Prozent ein beachtliches Ergebnis erzielen konnten. Um Wallmann und den FDP -Landesvorsitzenden Gerhard sicher ausbooten zu können, wird die hessische SPD allerdings ihren Kandidaten Eichel noch publikumswirksam „zurechtfeilen“ müssen. Der biedere Eichel braucht mehr „Drive“, um die Wallmänner im Januar zu überfahren. Vielleicht sollte der Kasselaner bei seinem Wiesbadener Amtskollegen „Sunnyboy“ Exner in die Lehre gehen. Der hat Eichel auf einem Parteitag immerhin schon einmal einen roten Schlips und ein blaues Hemd geschenkt „damit der Kandidat nicht mehr so farblos wirkt“.