Japan nähert sich Hiroschima neu

■ 45.Jahrestag des Atombombenabwurfs / Langsam reflektiert Japan die eigene Rolle im 2.Weltkrieg

Tokio (taz) - Sonderbare Einmütigkeit überzog in Japan jahrelang die offiziellen Gedenkfeiern zum 6. August. Da gesellten sich Regierungsvertreter aus Tokio zu den Festlichkeiten in der Atombombenstadt, sprach der Bürgermeister von Hiroschima seine alljährliche Friedensbotschaft an die Welt, und nebenbei trafen die Friedensfreunde aus aller Herren Länder zur Konferenz der Atombombenopfer zusammen. Stets zeigten die Pilger von Hiroschima Ernst und Bekümmernis im Angesicht des Undenkbaren - für Streitigkeiten blieb keine Zeit.

Da nun unterscheidet sich der heutige Jahrestag von den vorausgegangenen. Plötzlich gibt es neue Zwischentöne, Berichtigungen und Borstigkeiten. Der mutige Bürgermeister von Nagasaki, Hitoschi Motoschima, gab im letzten Jahr ein Startzeichen: „Japan muß für einen Krieg Reue zeigen, der 20 Millionen Leben kostete“, sagte er bei den Feierlichkeiten zum Abwurf der US-amerikanischen Atombombe auf Nagasaki. Was vielen als banale Bemerkung anmutet, machte in Japan Furore. Hier wurde erstmals für alle hörbar angesprochen, was das offizielle Japan bisher sorgfältig umgangen hatte: Nippons Kriegsschuld in Zusammenhang mit der Atomkatastrophe. Wie schwer sich die eigene Bevölkerung mit der Vergangenheitsbewältigung tut, erfuhr Motoschima jedoch schnell. Rechtsradikale verübten ein Attentat auf ihn, das er glücklicherweise überlebte.

Professor Schigetoschi Iwamatsu aus Nagasaki, der zu den prominenten Hibakuscha (Atombombenopfer) des Landes zählt, griff das Thema an diesem Wochende während der Hibakuscha-Konferenz in Hiroschima erneut auf und entschuldigte sich bei allen Asiaten für den japanischen Angriffskrieg. Für manche war dies eine bewegende Stunde. „Zum ersten Mal höre ich von einem japanischen Hibakuscha ein solches Wort der Entschuldigung“, erklärte die südkoreanische Delegierte der Konferenz.

Endlich entdecken mehr Japaner die Tabu-Themen des 6.Augusts. Dazu gehört auch das Schicksal der koreanischen Zwangsarbeiter, die der Atombombe zum Opfer fielen. Eigentlich sollte der ihnen zugedachte Gedenkstein schon am heutigen Tag seinen Platz im Friedenspark von Hiroschima finden. Doch noch weigert sich die Stadtverwaltung - denn die in Granit gehauene Gedenkschrift erwähnt auch Nippons Kriegsverbrechen.

Yamamoto/Blume