: Offerte des Südens bringt Norden in die Klemme
■ Tausende Südkoreaner beantragen Besuch in Nordkorea / Nord und Süd werfen sich gegenseitig „Propagandafeldzüge“ vor / Pjöngjang offenbar nicht zur Grenzöffnung bereit / Gespräche zwischen Premierministern im September noch nicht sicher
Aus Seoul Peter Lessmann
Mehrere tausend Südkoreaner standen am Samstag vor Amtsgebäuden Schlange, um die Genehmigung für einen Besuch in Nordkorea zu beantragen. Nach offiziellen Angaben reichten bisher rund 10.000 Menschen Anträge ein.
Und bis zum kommenden Mittwoch sollen sich noch bis zu einer Million Menschen einreihen. Der südkoreanische Präsident Roh Tae Woo hatte vor zwei Wochen eine fünftägige Grenzöffnung ab 13.August vorgeschlagen. Alle 42 Millionen Südkoreaner sollten Pässe erhalten, um nach Nordkorea zu reisen, hieß es am vergangenen Mittwoch. Voraussetzung sei allerdings, daß Nordkorea die sichere Rückkehr aller Südkoreaner garantiere. Doch der kommunistische Norden hatte schon bald abgelehnt. Mit der gleichen Begründung wie übrigens einige Wochen zuvor Südkorea: „glatter Propagandafeldzug“.
In Scharen waren bereits Ende Juni Angehörige der südkoreanischen Dissidentenorganisation Chonminyon, der regierungskritischen Allianz für Demokratie, zur innerkoreanischen Grenze gepilgert, um eine Delegation aus dem kommunistischen Norden zu empfangen. Seoul hatte überraschend einem Treffen mit Nordkoreanern zur Vorbereitung einer Demonstration am 15.August im Waffenstillstandsort Panmunjom zugestimmt.
Aber sie warteten vergebens. „Ich will es einfach nicht glauben, daß die Gespräche gescheitert sind“, sagte Paek Ki Wan, eine Symbolfigur unter den südkoreanischen Dissidenten. Die Delegation weigerte sich plötzlich, südkoreanischen Boden zu betreten. Sie wolle nicht in Regierungslimousinen nach Seoul gebracht werden und im Nobelhotel Interconti tagen.
Die Gründe für den Zusammenbruch der geplanten Gespräche, so glauben Beobachter in Seoul, liegen indes tiefer. Nordkorea lehne es ab, auf den Vorschlag des Südens einzugehen, den pannationalen Kongreß für alle Bevölkerungsschichten zu öffnen. Die Chonminyon war aber bereit, in dem Treffen genau diese Position zu unterstützen.
Seo Kyong Sook vom „Bürgerforum für ökonomische Gerechtigkeit“ erklärt, Pjöngjang wolle seine hartnäckige Haltung einfach nicht ändern. Solange Kim Il Sung das Regime fest in Händen hält, könne es keinen Wandel geben.
Der Aktivist ist jedoch optimistisch und glaubt, daß die frostigen Beziehungen zwischen den verfeindeten Staaten bald auftauen. Die südkoreanische Regierung hätte erstmals einen positiven Schritt getan, und die Chonminyon sei in ihren Ansichten flexibler geworden.
Viele Südkoreaner sind indes skeptisch, daß sich in der Korea-Frage überhaupt etwas bewegt. „Beide Regierungen wollen ihr Gesicht nicht verlieren“, sagt Joseph Song, Angestellter eines Seouler Transportunternehmens, und beklagt die fehlende Kompromißbereitschaft. So ist auch nicht sicher, ob das „historische Treffen“ der Ministerpräsidenten im September und Oktober wirklich stattfinden wird. Pjöngjang hat deutlich gemacht, daß die anberaumten Gespräche nachhaltig beeinträchtigt werden könnten, sollte Südkoreas Regierung Dissidenten und Studenten am 15.August nicht nach Panmunjom reisen lassen.
Der „überfallartige“ Reisevorschlag des Südens hat die Nordkoreaner in eine Zwickmühle gebracht. Während Seoul auf einer Welle von außendiplomatischen Erfolgen schwimmt, zuletzt das Treffen zwischen Gorbatschow und Roh in den USA, verliert Pjöngjang einen Bündnispartner nach dem anderen. Die Öffnung der sozialistischen Staaten in Osteuropa wird dort noch als Verrat an der kommunistischen Idee bezeichnet. Wie lange Kim Il Sung diese Position aufrecht erhalten kann, ist ungewiß.
In Südkorea zumindest gilt die bevorstehende Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten als Modellfall für den Annäherungsprozeß. Aber die koreanische Situation unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht: Geteilt wurde nach dem zweiten Weltkrieg nicht Japan als damaliger Verbündeter des deutschen Reiches, sondern Korea. Zwischen dem Norden und Süden gibt es seit Ende des Bruder-Krieges vor 37 Jahren keinerlei Kontakte. Zwischen dem Norden und Süden gibt es seit Ende des Bruderkrieges vor 37 Jahren keinerlei Kontakte auf Besucherebene. Während in Nordkorea Kim Il Sung in den vergangenen 45 Jahren seine Macht konsolidierte, löste in Südkorea bis Mitte 1987 eine antikommunistische Militärdiktatur die andere ab, mit ökonomischer und sicherheitspolitischer Unterstützung der USA.
Bei aller Annäherungseuphorie des Südens denkt die Regierung Roh indes nicht daran, Inhaftierte wie den Pastor Moon Ik Hwan oder die Studentin Lim Soo Kyong freizulassen. Beide wurden wegen illegaler Reisen nach Nordkorea zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Daß das berüchtigte antikommunistische Sicherheitsgesetz, das Kontakte mit Koreanern aus dem Norden verbietet, nicht ganz in die neuen Annäherungsversuche paßt, kümmert Seoul nur wenig.
So erstaunt es kaum, daß ein Staatsanwalt im Prozeß gegen den bekannten Dissidenten Kim Kun Tae sieben Jahre Haft fordert, weil sich Kim für den Abzug der amerikanischen Truppen aus Südkorea aussprach; und dies, so will es die Ironie der Geschichte, am Tag der Ankündigung der Grenzöffnung.
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