: De Maizieres Luftschlösser
■ Der Entwurf zum Einigungsvertrag widerspricht in wesentlichen Punkten der Darstellung des DDR-Regierungschefs
Berlin (taz) - Der Entwurf zum Einigungsvertrag stand schon kurz nach dem Ende der dreitägigen Verhandlungen in Ost-Berlin schon wieder zur Disposition. Wolfganng Clement, Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, sah nach de Maizieres spektakulärem Vorstoß in Sachen Wahltermin die Geschäftsgrundlage für das Vertragswerk völlig verändert und stellte seine Ablehnung durch die SPD-Länder in Aussicht.
Dabei hatte de Maiziere gerade wenige Stunden zuvor mit den angeblich erzielten Verhandlungserfolgen für die DDR den vorgezogenen Wahl- und Beitrittstermin gerechtfertigt. Doch auch ohne die SPD-Drohung stand de Maiziere bereits am Freitag abend im Regen. Denn wesentliche Punkte des Entwurfes widersprachen dem, was der Ministerpräsident der versammelten Presse vorgegaukelt hatte, um seine erneute Forcierung im Einheitsprozeß plausibel zu machen.
Während der Vertrag die Beteiligung der DDR-Länder am Länderfinanzausgleich ab 1995 festschreibt, hatte de Maiziere erklärt, die sofortige Einbeziehung sei durch das Grundgesetz gedeckt. An ihr könne nicht gerüttelt werden. Das sogenannte Aufbauministerium für die DDR-Länder, das de Maiziere als gesichert präsentierte, ist ebenfalls nicht vertraglich fixiert. Dafür hat Kohl jetzt eine schriftliche Zusicherung versprochen.
Auch bei den offenen Vermögensfragen hat sich bei den Verhandlungen nichts zugunsten der DDR bewegt. Lediglich die monatealte gemeinsame Erklärung zwischen Bonn und Ost-Berlin zu diesem Problemkomplex soll dem Vertrag als Anlage beigefügt werden.
Doch wesentliche Punkte, die de Maiziere immer wieder angeführt hatte, als er sich noch vehement gegen einen schnellen Beitritt der DDR stemmte, sind in der Erklärung nach wie vor ungelöst. Das betrifft nicht nur die Bodenreform, sondern auch die genauen Modalitäten für die Rückabwicklung.
Ähnliche Ungereimtheiten zwischen de Maizieres Erfolgsmeldungen und dem Vertragstext bestehen in der symbolisch überfrachteten Hauptsttadtfrage. Der gefundene Kompromiß erscheint geradezu idealtypisch dafür, wie unter dem neuen Zeitdruck unlösbare Interessenskonflikte verschleiert werden. Alle verbuchen Erfolg: Die Länder, die sich gegen die erwartete Dominanz Berlins zur Wehr setzen, verweisen darauf, daß die Entscheidung über den Regierungssitz dem gemeinsamen Parlament vorbehalten, also weiterhin offen bleibt. De Maiziere hingegen sah schon vor Verhandlungsende sein Essential erfüllt. Die Regierungsfunktionen würden schrittweise nach Berlin verlagert.
Immerhin kann der DDR-Regierungschef einen Teilerfolg beim Treuhandvermögen verbuchen: Im Entwurf festgeschrieben wird die ausschließliche Verwendung er Erlöse für die ehemaligen DDR-Länder. Doch unterstellt wird die Treuhandanstalt nach dem vorläufigen Entwurf dem Bundesfinanzministerium, eine Konstruktion, gegen die sich DDR-Finanzminister Romberg schon zu Verhandlungsbeginn massiv zur Wehr gesetzt hatte.
Grundsätzlich gilt nach dem Beitritt der DDR im vereinten Deutschland bundesdeutsches Recht. In Anlagen zum Einigungsvertrag sollen DDR-Gesetze festgelegt werden, die vorübergehend in Kraft bleiben, wie etwa das Abtreibungsrecht. Dabei können auf heutigem DDR-Gebiet weiterhin gültige Gesetze auch vom Grundgesetz abweichen.
Ungelöst ist weiterhin die Verbindlichkeit des Vertrages nach dem Beitritt der DDR. Zwar sollen die DDR-Länder die Rechtsnachfolge der DDR antreten, doch der Vertrag selbst erhält den Status von Bundesrecht. Seine Verankerung im Grundgesetz - ebenfalls einer von de Maizieres „Verhandlungserfolgen“ - ist nicht vorgesehen.
Das Grundgesetz selbst kommt mit Minimalveränderungen davon: Die fünf neuen Länder werden eingefügt, Artikel 23 entfällt nach ihrem Beitritt. Das Fortbestehen von DDR-Recht gegen das Grundgesetz wird in Artikel 143 geregelt. Geschickt wurde bei Artikel 146 verfahren, mit dem ursprünglich das Grundgesetz nach Herstellung der deutschen Einheit seine Gültigkeit verlieren sollte. Mit der Neuformulierung wird das Grundgesetz faktisch zur gesamtdeutschen Verfassung. Eine neue Verfassung ist nur noch als Möglichkeit vorgesehen.
Matthias Geis
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