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Hundertfünfzig Künstler am Hals

■ Heldin der Arbeit: Die Autogrammsammlerin Ingeborg Vogeler

Ingeborg Vogeler aus Neukölln besitzt die wahrscheinlich größte Autogrammsammlung Berlins. Allein von Anneliese Rothenberger liegen mehr als 4.000 Unterschriften in ihren Schränken, viele davon mit freundlichen Widmungen („soviel Treue... unglaublich“). Ingeborg Vogelers Schätzungen nach ist die Sammlung runde 10.000 Mark wert. Aber verkaufen würde sie sie nie, “... dann könnten Sie in 14 Tagen meinen Sarg bestellen. Für mich ist das kein Hobby - es ist mein Leben.“

Angefangen hat alles 1946, als Ingeborg Vogeler gerade 13 Jahre alt war. „Ich glaube, daß Julius Kantona (Operettensänger) damals mit dem Lied Ich such‘ in jeder Frau Manina den Grundstein dafür setzte, daß ich mich bis zum heutigen Tag meinen Künstlern und meinem Theater total verschworen habe. Seinerzeit ergriff eine große Sehnsucht von mir Besitz ...“ Erst waren es nur schriftliche Bitten um Autogramme. Aus der Ferne beobachtete Ingeborg Vogeler, wie andere Fans ganz nah an die Schauspieler und Sänger herangingen, sie nach den Vorstellungen regelrecht bedrängten. Diese Aufdringlichkeit mochte Ingeborg Vogeler schon damals nicht. „Ich hab‘ mich immer zurückgehalten.“ Es waren Ausdauer, Treue und wahre Verehrung, wodurch es trotzdem fast immer gelang, „den ersten Kontakt herzustellen. Wissen Sie, das ist nicht einfach! Das ist 'ne Arbeit, ja, den Kontakt muß man sich richtig erarbeiten. Die Künstler müssen erst mal merken, daß man Interesse hat.“ Nach dem Krieg sei das besonders schwer gewesen, die Künstler seien damals viel mißtrauischer als heute gewesen. Viele Fans hätten den Kontakt ja auch mißbraucht, um die Stars anzubetteln oder um selbst irgendwie ins Geschäft zu kommen.

Nachdem Ingeborg Vogeler zum ersten Mal geheiratet hatte, blieb ihr für ein paar Jahre weniger Zeit für ihr „liebgewordenes Hobby“. „Da ist der Kontakt, zumindest zu einzelnen, etwas loser geworden, auch wegen der Kinder.“ Aber schon bald nach der Scheidung ist sie aus Rudow weggezogen, „mir war's da so wahnsinnig langweilig. Dann hab‘ ich in Filmzeitschriften gelesen, daß viele junge Mädels Fanklubs gründen. Da hab‘ ich gedacht, das machst du auch. Ich fing an mit O.W. Fischer, dann Erik Schumann, Horst Buchholz war mein Dritter.“ Das war 1956 in Neukölln. Ingeborg Vogeler organisierte Klubtreffen, informierte die Presse und die zahlenden Klubmitglieder (Beitrag damals: 50 Pfennig für Briefmarken usw.) über Dreharbeiten der Künstler, über neue Engagements und Privates.

Nicht ohne Stolz erzählt sie, daß ihre Arbeit so manche Karriere beeinflußt habe. Margit Schramm zum Beispiel: Wenn sie als Fanklubvorsitzende die Presse nicht so beharrlich auf das Talent der jungen Sängerin aufmerksam gemacht hätte, wer weiß, ob sie dann so populär geworden wäre! Mit Annoncen in Filmzeitschriften warb Ingeborg Vogeler beständig um neue Mitglieder. Ab und zu mußte sie allerdings auch einzelne Fans wieder rausschmeißen, wenn sie zum Beispiel heimlich bei den Künstlern geklingelt hatten. Das gab dann immer ziemlichen Ärger, Neid hätte auch eine große Rolle gespielt. Allmählich wurden es immer mehr Stars, für die Ingeborg Vogeler zuständig war. Das kam daher, weil viele ihrer Freundinnen nur aus einer Laune heraus Fanklubs gründeten. Als sie dann merkten, daß so ein Klub viel Arbeit macht, hätten sie Ingeborg Vogeler gefragt, „willst du den nicht übernehmen? Und dann hatte ich wieder einen mehr am Hals. Aber ich mochte sie ja alle so gerne, daß ich keinen vor den Kopf stoßen wollte.“ Mit 150 Künstlern pflegt die Neuköllnerin heute Kontakt, „ja, es sind sogar echte Freundschaften entstanden, die sich jahrzehntelang bewährt haben“. Und genau diese persönliche Zuneigung zu einem Künstler findet Ingeborg Vogeler viel wichtiger als den jeweiligen Berühmtheitsgrad. Darin sieht sie auch den Unterschied zwischen sich und zum Beispiel zwei ebenso passionierten Zwillingsschwestern aus Gladbeck, die in ihre Sammlung einfach alle Autogramme aufnehmen, an die sie herankommen.

Mittlerweile ist Ingeborg Vogeler fast allein in ihrem einst so riesigen Klub. Durch den Mauerbau, meint sie, sei viel kaputtgegangen, bei manchen sei die Begeisterung auch mit der Heirat verschwunden. Bei ihr war das anders. Ihre Leidenschaft habe dazu geführt, daß sie in ihrem Privatleben vieles falsch angefangen habe. Der gute Kontakt zu den vielen Künstlern war da ein ganz wichtiger Ausgleich. Ob sie denn oft in Stars verliebt gewesen sei: „Ja, ja - aber ich wußte immer, wo die Grenzen sind. Ein kleiner Flirt ja, eine Umarmung, ein Küßchen hier und da, wissen Sie, eher brüderlich. Aber meine Tocher, die hat Dinger gemacht, die haben mir gar nicht gefallen. Da hab‘ ich gesagt: Abstand! Und ab nach Ostfriesland! Ich weiß eben, als Fan, da muß man einen Unterschied machen. Privat ist 'ne andere Sache - ich würde mich ja auch ärgern, wenn jemand dazwischenkäme, aber als Künstler - da gehört er jedem!“

Ingeborg Vogeler legt nebenbei auch Karten. Aus Prinzip nimmt sie kein Geld dafür. Seit ihre Künstler von dieser Fähigkeit erfahren haben, wird sie oft von den Stars um Sitzungen gebeten. „Dann mach‘ ich das mehr als Hilfe für die Künstler. Wissen Sie, ich habe nämlich sehr viel Kraft. Und es wird immer mehr.“

Dorothee Wenner

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