Pankow statt Palma, Rixdorf statt Rimini

■ Hunderttausende Berlin-Touris können nicht irren: Ein Plädoyer für den Urlaub zu Hause / Täglich einen Hunni verprassen - und ökologisch eine reine Weste behalten

SUMMER IN THE CITY

Wer dieser Hundstage seine KollegInnen nicht minimalst bekleidet mit den eigenen fleischlichen Reizen erregen will, der verwandelt sich am Arbeitsplatz binnen kurzem in ein triefendes, klebrig-feuchtes Bündel Mensch und Textil. Arbeiten in Berlin bei 35 Grad ist ein Alptraum. Viele bewältigen ihn, indem sie sich ins große Fernweh hineinsteigern: Bloß weg, in den Süden, ans Meer. Und an trüben, kühlen Sommertagen wächst die Lust abzuhauen erst recht. Eigentlich eine logische Fehlleistung: Denn Berlin kann so geil sein im Hochsommer. Und in den Traumgefilden aus den Katalogen warten zerstörte Umwelt, Menschenmassen, Nepp, giftiges Wasser - und gelegentlich auch schlechtes Wetter.

Immer mehr Menschen durchschauen dies. Die 70er und 80er, in denen die Westdeutschen in Millionenhorden urlaubten, sind vorüber, das Ganze macht immer weniger Spaß, wird abgeschmackter, fader. Nur die Noch-DDR-BürgerInnen haben noch berechtigten Nachholbedarf...

Wer das Neckermann-Feeling oder seine alternativen Abwandelungen kennt, hat die Schnauze voll, bleibt zu Hause. Am besten da, wo sich die Berlin-Touris nicht hinverirren. Lieber Planschen im Prinzenbad, Kraulen im SEZ Friedrichshain, Sonnenbaden in Köpenick oder Tiergarten als in Ibiza, Gomera oder Riccione. Und danach genüßlich Eisschlecken in SO36, Bierchenzischen im Treptower Park oder schick Essen in Wilmersdorf. Palma de Mallorca kann da nicht mithalten. Und Rambo in italienischer Sprache in Rimini ist auch nur ein lascher Ersatz für Berlins Kinoszene. Ganz zu schweigen von den Folkloreabenden von TUI und Konsorten: dann doch lieber eine Sommernacht im Tempodrom. Und anstelle des 80-Mark-Tagesausfluges ins Hinterland, tut's der BVG -Trip ins unbekannte Erkner oder Kladow. Auch zum Töpfern braucht man nicht in die Toskana. Und zum geheimen Urlaubswunsch Nummer Eins aller Deutschen schon gar nicht: Fünf Millionen Berlin-BrandenburgerInnen nebst Touris stehen zumindest theoretisch für die Sommer-Amore bereit.

Der Clou beim Urlaub zu Hause: ein ökologisch reines Gewissen, kein Anreisestress - und viele, viele Blaue zum fröhlichen verjuxen (oder zum Sparen für eine seltenere, richtige Reise). Und da kann man einiges auf den Kopf hauen. Kosten klassische 14-Tage-Ferien von der industriellen Stange der vierköpfigen Standardfamilie doch locker vier Tausender, zuzüglich Ehekrach und Durchfall.

Immer mehr BerlinerInnen erkennen den Trend, den Hunderttausende der neuen Zweidrittelgesellschaft zwangsweise schon befolgen müssen. Summer in the City. Bloß die PolitikerInnen sind noch weit davon entfernt, obwohl da Hunderte Millionen Mark aus den Urlaubsbörsen der Einheimischen abgeschöpft werden könnten. Beispielsweise machen täglich Tausende Tiergarten, Hasenheide und andere Parks zu riesigen Urlaubsstränden - und teilen sich dort ein, zwei jämmerliche Duschen. Viel zu wenige Freibäder sind so rappelvoll, daß ein ordentlicher Kraulzug schon zur Körperverletzung wird. Radfahren bleibt weiterhin ein Alptraum. Und die BVG läßt Ausflügler auf dem Weg zum kühlen Naß oder ins Grüne trotz Ausflugslinien vielerorts noch in der Gluthitze schmoren. Das halbe Kulturleben macht Ferien. Von Metropolensommerprogramm - wie etwa in Rom - hat hier noch keiner gehört.

Wie wär's mit einer/em SenatorIn für Freizeit, Herr Schwierzomper - auch angesichts der künftigen halben Million Arbeitslose in der Region, für die Herr Innenminister Diestel ja schon mal Maschinengewehre bestellen wollte...

Thomas Kuppinger