In Westafrika hat Aids die Malaria überholt

■ Im Armenviertel von Abidjan zeigt die Immunschwächekrankheit ihr häßliches Gesicht / Bei Männern ist Aids inzwischen die häufigste Todesursache / Ohne das Geld für Medikamente sterben die PatientInnen oft schon nach einem halben Jahr

Abidjan (afp) - Die Immunschwächekrankheit Aids hat Malaria und alle anderen Plagen, die Afrika heimgesucht haben, inzwischen überholt: In Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, ist die Infektion heute die häufigste Todesursache bei Männern geworden. Nach einer Todesursachen -Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den zwei größten Leichenhallen Abidjans starben dort im vergangenen Jahr 15 Prozent aller Männer an Aids. Bei den Frauen war Aids mit 13 Prozent die zweithäufigste Todesursache, nach Komplikationen bei Schwangerschaft oder Geburt, die in Abidjan auch heute noch zur häufigsten Todesursache bei Frauen gehören.

Nach einer anderen Untersuchung, die bereits im letzten Jahr in der Elfenbeinküste gemacht worden war, sind fünf Prozent der Landbevölkerung zwischen 15 und 55 Jahren mit HIV infiziert. In den städtischen Zonen um Abidjan steigt der Prozentsatz auf 7,5 Prozent. Ein französischer Arzt, der in Abidjan arbeitet, schätzt die Zahl der HIV-Infizierten in der Stadt auf rund 10 Prozent der Bevölkerung. Nach Ansicht des Mediziners ist die Elfenbeinküste das Land mit den höchsten Aids-Infektionsraten im westlichen Afrika, „da es hier viele Bordelle gibt und die Sitten freier sind als in den Ländern, wo der Einfluß des Islams stärker ist“.

Anders als in den industriealisierten Ländern ist die heterosexuelle Übertragung in Afrika der häufigste Infektionsweg. Durch die häufig auftretenden Geschlechtskrankheiten mit ihren mikroskopisch kleinen Verletzungen wird das HI-Virus sehr leicht übertragen.

In Treichville, einem der Armenviertel von Abidjan, ist das Krankenhaus eine Welt für sich. Im Garten zwischen den Pavillons haben Familien unter Palmenbäumen ihre Lager aufgeschlagen. Niemand weiß, ob sie einen Angehörigen besuchen, oder einfach hier wohnen wollen. Im Pavillon für ansteckende Krankheiten sind zwei Drittel der Männer aidskrank. Frauen, die Säuglinge fest an sich drücken, säumen die Gänge. In den Zimmern, am Fußende der Betten, ruhen auf Matten die Mütter oder Ehefrauen der Kranken. Einige haben kleine Öfen mitgebracht, um Mahlzeiten für sich und die Kranken zu kochen. Kadji ist einer der Kranken. Seine Haut klebt an den Knochen, er klagt über seine Schwäche und über den ständigen Husten durch eine Lungenentzündung. In weniger als sechs Monaten hat er 15 Kilogramm abgenommen.

Fehlende Finanzmittel, mangelnde Informationen, schlechte hygienische Bedingungen, hier trägt alles zur raschen Ausbreitung der Infektionskrankheit bei. Die Vorräte an Präservativen, von den USA gestiftet, sind längst erschöpft. Im Krankenhaus fehlen darüberhinaus selbst die Mittel, um das Blut gründlich auf HIV zu untersuchen. Für den Bestätigungstest (Western Blot) reicht das Geld nicht. „Es ist vorgekommen, daß eine Person sechsmal hintereinander hier war, um Blut zu spenden. Jedesmal wurde sein Blut zurückgewiesen, weil es infiziert war. Aber eine Bestätigung des Befunds wäre zu teuer, also wurde der Spender nicht informiert“, berichtet ein Arzt.

In einem bankrotten Gesundheitssystem, in dem es an den einfachsten Medikamenten mangelt, erscheint es lächerlich, an das bislang erfolgreichste Aids-Medikament AZT zu erinnern. Nur ganz wenige Kranke können sich die Behandlung damit leisten, die zwischen 700 und 1.000 Mark im Monat kostet. Der Mindeslohn liegt hier bei umgerechnet 230 Mark im Monat.

Wie die pan-afrikanische Organisation für den Kampf gegen Aids betonte, umfaßt die „Risiko-Gruppe“ in Afrika beinahe die gesamte Bevölkerung. Die Krankheit werde hier neben den hetero-sexuellen Kontakten vor allem auch von Müttern auf ihre Kinder übertragen. Außerdem befindet sich die Elfenbeinküste geographisch an dem Treffpunkt der beiden Aids-Viren: Der HIV-1 ist vor allem in Zentralafrika verbreitet, der HIV-2 vor allem in Sudan und Guinea-Bissau. Die Rate der Infizierten ist in der Elfenbeinküste hundertmal höher als in westlichen Industrieländern. Die Aids-Kranken in Abidjan sterben auch viel schneller. In den USA hat heute ein Aids-Patient ab dem Zeitpunkt der Diagnose -Stellung eine durchschnittliche Lebenserwartung von zwei Jahren. In den USA leben aber auch schon Menschen seit vier, fünf oder sogar acht Jahren mit Aids. Die Hälfte der Aids -Patienten in Abidjan stirbt, blutarm, unterernährt und häufig mit Malaria infiziert, innerhalb von nur sechs Monaten.

In den letzten Monaten wurde hier ein nationales Komitee für den Kampf gegen Aids gegründet, eine ständige Telefonberatung eingerichtet und es wurde eine riesige Informationskampagne gestartet. Ehrenamtlichen Helfer haben auch eine kleine Organisation mit dem Namen „Hoffnung für die Elfenbeinküste“ gegründet, die denjenigen Aids-Kranken helfen will, die von ihren Familien im Stich gelassen wurden. Doch selbst wenn alle mithelfen, die nötigen vorbeugenden Maßnahmen zu fördern und die Präventionskampagne zu intensivieren, bleiben einige Ärzte skeptisch. „Den Menschen zu erklären, daß man eine ansteckende Krankheit auch dann haben kann, auch wenn man sich noch wohlfühlt, und daß man Präservative benutzen soll, das geht ja. Aber es hier umzusetzen, ist sehr utopisch. Hier wissen viele nicht einmal, ob sie am nächsten Tag etwas zu essen haben. Wenn man als Tagelöhner von einem Tag auf den anderen lebt, sind Vorstellungen vorzubeugen oder zu planen völlig fremd.“

Michele Leridon