Kein Drama in Japans Amtsstuben

■ Ein Emporschnellen der Ölpreise käme Tokio gar nicht so ungelegen / Börsenkurse rutschen etwas ab

Aus Tokio Georg Blume

Man kann gute Gründe aufzählen, weshalb eine Ölkrise für Japan heute gerade zur rechten Zeit käme. Steigen die Ölpreise, dann wäre endlich der lästige japanische Handelsbilanzüberschuß aus dem Weg geräumt, über den sich alle Welt beschwert. Auch wäre ein geeigneter Vorwand gegeben, um die Zinsen zu erhöhen, die mit Rücksicht auf den Kreditbedarf in den Vereinigten Staaten künstlich niedrig gehalten werden. Schließlich bekäme es dem Inselreich vermutlich gut, wenn der Wachstumsboom etwas gedämpft würde.

Das sind Überlegungen, die dafür Sorge tragen, daß die Stimmung in Tokio nach Saddams Nahost-Invasion auch am Montag relativ gelassen blieb. Verglichen mit vorherigen Nahostkrisen in den siebziger Jahren reagierten die Verantwortlichen in Tokio verblüffend schnell und sicher als sei das Szenario bereits allen Akteuren bekannt.

Schon am Sonntag konnte Premierminister Kaifu verkünden, daß sich sein Land allen westlichen Sanktionen gegenüber dem Irak anschließe - für eine solche Reaktion hatte Tokio in früheren Krisenfällen oft Wochen gebraucht. Auf einer Pressekonferenz in Hiroshima versuchte Kaifu gestern seine Landsleute zu beruhigen: „Unsere Ölversorgung ist gesichert. Deshalb müssen wir Japaner Verständnis für das internationale Importembargo gegenüber dem Irak zeigen.“

Anders als beispielsweise in den USA fehlt den japanischen Amtshandlungen jede Dramatik. Im Vergleich zum Ölkrisenjahr 1973 ist Nippons Abhängigkeit vom schwarzen Gold um 20 Prozent auf 58 Prozent des Energiebedarfs gesunken. Irak und Kuwait lieferten bisher 12 Prozent der japanischen Ölimporte, deren Ausfall niemand erschrecken läßt. Das Handelsminsterium forderte Saudi-Arabien und andere OPEC -Länder zur Steigerung ihrer Ölexportquoten auf.

Vor allem jedoch hegen die Japaner keine große Furcht vor steigenden Ölpreisen. Noch 1973 hatte die Ölkrise Japans Inflation auf 25 Prozent hochgetrieben, doch nun will die japanische Zentralbank einer raschen Leitzinserhöhung dem Inflationsdruck zuvorkommen.

Gerade deshalb aber können die Ereignisse in Nahost via Japan auf den Westen zurückschlagen. Schon in dieser Woche fürchten die Verkäufer US-amerikanischer Staatsschuldbriefe den Ausbleib ihrer japanischen Kunden. Nähert sich nämlich das japanische Zinsniveau mit derzeit noch 5,25 Prozent dem US-amerikanischen, gibt es für Nippons Investoren Gründe genug, mit ihrem Geld zu Hause zu bleiben. Die notwendige Folge - da Japaner für ein Drittel aller US-Staatsschulden zeichnen - wären wiederum Zinssteigerungen in den USA, die dort gemeinsam mit dem Ölpreisanstieg in die Rezession führen könnten.

So könnte Tokio wirtschaftspolitischen Spielraum in der Krise gewinnen. Bis es soweit kommt, fallen allerdings auch in Fernost die Aktien. Mit 28.599 Punkten erreichte der Tokioter Aktienindex Nikkei am Montag seinen tiefsten Stand seit dem 1.Mai. An Kursstürze ist Tokio allerdings seit Jahresbeginn gewöhnt. Die Verluste an der Börse sind deshalb kalkulierbarer geworden.