Töpfer steuert die Müll-Lawine um

■ Entwurf einer Verpackungsverordnung bezeichnen Umweltverbände und Opposition als Rückfall in die „abfallwirtschaftliche Steinzeit“ / Mit Rücknahmepflicht für die Wirtschaft droht mehr Müllverbrennung statt Müllvermeidung

Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Eines kann man Hansjürgen Kreft, der im Bonner Umweltministerium das Referat Abfallverwertung und Abfallvermeidung leitet, getrost glauben: Bürgermeister und Landräte gleich welcher Couleur, berichtet der Ministerialrat, stünden seinem Minister Töpfer seit Monaten auf den Füßen. Ihnen allen steht der Wohlstandsmüll bis zum Hals. Die Deponien quellen über; überall im Land mobilisieren Bürgerinitiativen erfolgreich gegen müllverbrennende Giftschleudern; in Bayern gar droht die Bevölkerung die Sache mit dem Müll per Volksentscheid selbst in die Hand zu nehmen. „Mach was!“ lautet der Notruf von der kommunalen Basis an den qua Amt obersten Umweltschützer der Nation.

Und der macht. Seit Anfang Juni liegt der zweite Entwurf einer Verpackungsverordnung auf dem Tisch. Spätestens Ende September soll sie ins Kabinett. Heute werden ihn erstmal 100 bis 150 Vertreter der Verpackungsindustrie, des Handels, der Verbraucher- und Umweltverbände nach allen Regeln der Kunst auseinandernehmen. Unumstritten scheint unter allen Beteiligten allein die Notwendigkeit, gegen die dramatisch anwachsende Verpackungslawine der Wegwerfgesellschaft Dämme zu errichten.

32 Millionen Tonnen Hausmüll und hausmüllähnliche Gewerbeabfälle füllen Jahr für Jahr die Deponien und in zunehmenden Maß auch die Dioxin und andere hochgiftige Substanzen ausstoßenden Müllverbrennungsanlagen in der Bundesrepublik. Verpackungsabfälle steuern den größten Batzen bei: Sie allein machen, nimmt man das Volumen zum Maßstab, die Hälfte des Hausmülls aus, beim Gewicht ist es immerhin rund ein Drittel: insgesamt 14 Millionen Tonnen.

Das Töpfersche Regelwerk soll Verpackungsindustrie und Handel grundsätzlich zur Rücknahme der von ihnen produzierten und an die Kunden weitergegebenen Verpackungsberge verpflichten und damit die öffentlichen Deponien erheblich entlasten. „Back to Sender“ lautet die Parole zunächst für Transportverpackungen wie Paletten und Kartonagen und für die besonders ärgerlichen „Umverpackungen“, die lediglich der Werbung, der Möglichkeit der Selbstbedienung oder der Diebstahlsicherung dienen (ab 1. Dezember 1990). Außerdem will Töpfer die Rücknahmepflicht für alle Verpackungen mit giftigen Rückständen, wie Farben und Lacke (ab 1. Januar 1992).

Für die eigentlichen Verkaufsverpackungen, die mit etwa fünf Millionen Tonnen pro Jahr den Löwenanteil des Verpackungsmülls ausmachen, bietet Töpfer der Wirtschaft eine Alternative. Statt der direkten Rücknahme, die aus dem Supermarkt an der Ecke binnen Tagen eine einzige Müllhalde machen würde, können die Vertreiber auch eine zusätzliche Verpackungstonne vor jede Haustür stellen (ab 1. Juli 1991). „Wir demontieren“, freut sich Abfallverwerter Kreft, „einen Teil der öffentlichen Abfallentsorgung“ und „schaffen einen eigenen Kreislauf innerhalb der Wirtschaft“.

Was den zuständigen Ministerialen jubeln macht, läßt andere aufjaulen. Nach Überzeugung der Bonner Oppositionsparteien, der Umweltverbände und der Gewerkschaft ÖTV geht Töpfers Werk schon im Ansatz in eine völlig falsche Richtung. Die Verpackungsindustrie werde nicht auf eine Wiederverwertung ihrer Produkte verpflichtet. Folge: die Müll-Lawine wird nicht gestoppt, sondern lediglich in industrielle Müllverbrennungsanlagen umgeleitet, klagen die Kritiker unisono. Von Töpfers Recyclinglüge ist die Rede, die ÖTV nennt den Entwurf eine „Mogelpackung für Verbraucher und Abfallwirtschaft“, der Deutsche Naturschutzring kündigte gestern „massive Proteste“ gegen den „Rückfall in die abfallpolitische Steinzeit“ an.

In der Tat wird der Wirtschaft in Paragraph 3 der Verordnung freigestellt, den Verpackungsmüll „einer erneuten Verwendung zum selben Zweck oder einer stofflichen oder thermischen Verwertung außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung zuzuführen“. Damit falle der Entwurf weit zurück hinter das Abfallgesetz, in dem die Müllvermeidung in klarer Hierarchie über die Verwertung gestellt werde, heißt es etwa in einer Analyse des Bielefelder Stadtreinigungsamtes aus dem Hause des grünen Umweltdezernenten Uwe Lahl. Das Öko-Institut befürchtet einen „Innovationsschub in die falsche Richtung“. Da die Kennzeichnungspflicht für die verschiedenen Kunststoffsorten im zweiten Entwurf nicht mehr auftauche, könne auch nicht mit einer Vorsortierung des Plastik-Mix‘ gerechnet werden. Damit komme Recycling kaum in Frage.

Tatsächlich habe die chemische Industrie bereits mit der Weiterentwicklung von Verbrennungsanlagen für sogenannte „hochcalorische“ (Kunststoff-) Abfälle begonnen. Man habe die Vorteile dieses Konzepts der „weißen Kohle“ längst erkannt: Verpackungsmüll als Brennstoffersatz.

Hansjürgen Kreft glaubt nicht mehr an wesentliche Verbesserungen an dem Entwurf. Nach der heutigen Anhörung könne es zwar zu „Verbesserungen im Detail“ kommen - zu mehr aber nicht. Insofern können sich die Beteiligten die Reise nach Bonn auch sparen. Kreft glaubt an den „Sog zum Recycling“ nach Inkraftreten des Regelwerks. Die Angst der Kritiker vor einer Flut von Müllverbrennungsanlagen teilt er nicht: „Die Industrie kriegt ihre Verbrennungsanlagen vor Ort auch nicht hingestellt“, glaubt Kreft. Doch da irrt der Mann: Mit einer Änderung des Abfallgesetzes hat die Bundesregierung erst kürzlich den Weg frei gemacht für Müllverbrennung in Hunderten von Industrieöfen.