Kolumbiens leise Hoffnung

Das Land der Drogenmafia kriegt einen neuen Präsidenten

Eines der ersten Anliegen, über die Cesar Gaviria zu befinden hat, ist ein Antrag des Bürgermeisters von Medellin, der für seine Stadt die Ausrufung des „sozialen Notstands“, wie er für Naturkatastrophen vorgesehen ist, fordert. Die Drogenmetropole ist längst unregierbar.

VON CIRO KRAUTHAUSEN

Der Frieden sei „eine historische Verpflichtung“, sagte Cesar Gaviria kürzlich, der heute die Präsidentschaft Kolumbiens antritt. Die Chancen, die ausufernde Gewalt in Kolumbien wenigstens teilweise zu beenden, stehen für den 43jährigen Liberalen nicht schlecht. Gaviria verkündete bereits, die Friedenspolitik seines Vorgängers Virgilio Barco, ebenfalls von der Liberalen Partei, fortführen zu wollen. Dabei wird er von dessen jüngsten Verhandlungserfolgen zehren können.

Ende Juli begab sich der scheidende Innenminister Horacio Serpa Uribe nach Pueblo Nuevo, einem Guerillacamp im Nordwesten des Landes, um dort ein „Abkommen des guten Willens“ mit der nach Geheimdienstberichten über tausend Guerilleros umfassenden ehemals maoistischen „Volksbefreiungsarmee“ (EPL) zu unterzeichnen. Fortan soll in Ausschüssen, in denen Guerilleros und Funktionäre der Regierung gemeinsam sitzen, beraten werden, wie die endgültige Demobilisierung der EPL, die bereits 1967 den militärischen Kampf aufgenommen hat, erreicht werden kann. Wichtige Verhandlungspunkte: Agrarreform und Sozialprogramme in der Provinz Cordoba, wo die Guerillabewegung am stärksten vertreten ist. Schon jetzt zeigt sich jedoch, daß an derartigen Reformen nicht alle in der von einer extrem ungerechten Landverteilung gekennzeichneten Provinz interessiert sind. So sind in weniger als einem Monat 40 Anhänger linker Parteien, vornehmlich des politischen Armes der EPL, der „Frente Popular“, ermordet worden. In der benachbarten Bananenanbauregion Uraba wurde zudem eine Staatsanwältin erschossen, die sich mit der Untersuchung eines Massakers an 41 Bauern im Januar dieses Jahres beschäftigte. Einem gut unterrichteten Informanten zufolge wurde die Ermordung der Staatsanwältin von dem örtlichen Polizeikommandanten befohlen.

Fidel Castano indes, jener gefürchtete paramilitärische Führer der wahrscheinlich das von der Staatsanwältin untersuchte Massaker anordnete, ist seit vergangener Woche ebenfalls zu Verhandlungen bereit. Angesichts des Abkommens mit der EPL, so ein von ihm verfaßtes Kommunique, beständen in der Provinz Cordoba keine Gründe mehr, gegen die Guerilla - und die Bauern, die sie unterstützen - vorzugehen. Auch die paramilitärischen Gruppen in der in Zentralkolumbien gelegenen Region Magdalena Medio, einer Hochburg der Mafia und der Guerilla, haben bereits Verhandlungen mit der Regierung aufgenommen. Jene „Selbstverteidigungsgruppen“ bekämpften jahrelang blutig die kommunistische Guerillabewegung FARC. Deren orthodoxe Führung hat sich bislang gegen eine Aufnahme von Verhandlungen ohne vorherige soziale Reformen gesträubt. Im offenen Widerspruch zu ihren Kommandanten riefen jedoch nun auch vier Fronten der FARC zur bedingungslosen Aufnahme von Gesprächen mit der Regierung auf.

Am brisantesten dürfte jedoch für den neuen Präsidenten die Haltung zum Medellin-Kartell sein. Nach einem Jahr Drogenkrieg ist dessen Macht und Feuerkraft zwar teilweise angekratzt, aber längst nicht ernsthaft beschädigt. Am 27. Juli spielten die „Auslieferbaren“ um den Kokainbaron Pablo Escobar mit einer Waffenstillstandserklärung den Schwarzen Peter dem neuen Präsidenten zu. Kurz nach diesem Angebot überstellte jedoch die Regierung Barco noch zwei mutmaßliche Drogenhändler an die US-Behörden. Offen ist bislang, wie Gaviria es mit der von den Kokainbossen geforderten Beendigung der Auslieferungen halten wird. Der Kampf gegen die Mafia dürfe nicht allein mit repressiven Mitteln geführt werden, meinte der neue Präsident letzte Woche, es sei notwendig, ihn zu „entmilitarisieren“. Und die Waffenstillstandserklärung aus dem Hause Escobars hielt er denn auch für eine „gute Nachricht“.