Geheimdienst als sozialistische Nische

■ „Zur Person“, Mo., 6.8., SAT.1, 22.45 Uhr

Das Entscheidende habe ich nicht erreicht, dennoch war es nicht umsonst: Die Kinder und Enkelkinder, die Ideale, die Erfahrungen“ - so beantwortete Markus Wolf die Frage, ob er sein Leben als gescheitert betrachte. Während des einstündigen Gesprächs mit Günter Gaus verlor der ehemalige Chef der „Hauptabteilung Aufklärung“ im Ministerium für Staatssicherheit und einer der Stellvertreter von Erich Mielke niemals ein Stück jener Fassung, die zugleich das Geheimnis nicht nur dieses überzeugten Kommunisten ausmacht. Von Vater Friedrich Wolf, expressionistischer Schriftsteller der Weimarer Republik, mit sozialistischen Idealen erzogen, stieß er im Moskauer Exil zur „Gruppe Ulbricht“. Nach der Niederlage des Nationalsozialismus beteiligte er sich am Aufbau des Sozialismus in der DDR und avancierte schnell zum „Aufklärer“ feindlicher Spionage. Noch heute umweht ihn der Mythos des Großmeisters der mehreren tausend Stasi-Agenten im Ausland. In der Bundesrepublik liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor. Er, der nach eigenem Bekunden „alles Wesentliche“ wußte, was im Stasi-Staat geschah, glaubte dennoch bis zum Oktober 1989 an die „Erneuerung der Partei“. Gaus, der wie stets eine Atmosphäre ruhiger Nachdenklichkeit verbreitete, fragte mehrfach - ohne wirklich nachzufassen - nach der Möglichkeit einer großen „Selbsttäuschung“ im Leben des „Mischa“ Wolf. Doch er bekam immer nur jenes „Nein“, das vor der Alternative zurückschreckt. „Dann müßte ich ja alles leugnen, was mir wichtig war.“ - „Nein, Flucht in den Westen wäre für mich Verrat gewesen.“ - „Ich habe mein Amt aus voller Überzeugung ausgeübt.“

Doch zwischen Pflichtgefühl und preußischer Berufsauffassung breitet sich der geheimnisvolle Abgrund der „Idee“ aus, die „stärker war als das Wissen um stalinistische Verbrechen“. Auch einer der obersten Stasi -Repräsentanten hatte sich so seine „Nische“ im Geheimdienst aufgebaut, in der der Glaube an das Gute überwintern wollte und die grundsätzliche „Verteidigung des Sozialismus“ vom schlimmsten Schmutz der Mielkeschen Schandtaten freigehalten werden sollte. Widerstand? Ja, gewiß, „zu wenig von heute aus gesehen“.

In dem klugen, durchaus sympathischen Gesicht des Markus Wolf, Kind des 20.Jahrhunderts, vermischen sich frühes Pathos und spätes Desaster zu einer Normalität der ex-post -Einsichten, die der Größe und Monströsität des Scheiterns nur noch die Hilflosigkeit des „guten Willens“ entgegensetzen können. Die Berge, die der Glaube versetzt hat, müssen nun mit Handschaufeln abgetragen werden.

Reinhard Mohr