Notwendige Hoffnungen, ungefiltert

■ Ein frühes Theaterstück Hermann Ungars

Dieter Sudhoff ergänzte als Herausgeber im letzten Jahr mit dem Band Der Bankbeamte die sogenannte Gesamtausgabe der Schriften von Hermann Ungar im Zsolnay-Verlag um fast 200 Seiten verstreuter Prosa des deutsch schreibenden tschechischen Autors.

Nun ist der Paderborner Literaturwissenschaftler in Sachen des schlampig edierten Ungar noch einmal fündig geworden. Sudhoff besorgte die Erstausgabe des pazifistischen Stückes Krieg. Von diesem Drama aus der Napoleonzeit existierte bisher nur eine Maschinenabschrift durch einen Freund Ungars. Das Original ist verloren. Ungar selbst hatte es nicht zur Veröffentlichung vorgesehen, denn er wußte wohl um die Schwächen des 1918 entstandenen Stücks. Der damals 25jährige Autor schrieb es unter dem Eindruck seiner Kriegserlebnisse als Kadett und Artillerieaufklärer.

Literaturkritischer Betrachtung hält das Stück nicht stand; sein Stil ist penetrant-pathetisch, pubertär und klischeehaft die Handlung: Ein junger Gastwirtssohn desertiert aus Napoleons Armee und wird nach einem Barrikadenscharmützel verhaftet und hingerichtet.

Die Dialoge und der Prolog des Stückes, in dem „der Geist der Menschheit“ expressionistische „Mutter„-Schreie ausstößt, schwelgen in missionarischem Pazifismuskitsch. Unmittelbar versucht der Autor hier, seine psychischen Kriegsverletzungen aufzuarbeiten. Doch „Ergriffen zu sein, ist eine Voraussetzung - für ein Kunstwerk bedeutet es allein noch gar nichts“, mahnte Ungars Zeitgenosse Tucholsky.

Unter biographischen Aspekten betrachtet, könnte man Krieg selbst eine solche Voraussetzung nennen. Das Stück ist ein Dokument des Ergriffenseins.

Diese Erstedition bietet in Text und ausführlichem Nachwort Einblicke in schriftstellerische Entwicklungen: Dieter Sudhoff stellt Verbindungen her zwischen Kriegserlebnissen Ungars und seinen Arbeiten.

Ungars Erschütterung über die „Zerstörung der Menschlichkeit“ ist in Krieg noch unmittelbar zu spüren. Zu Beginn der zwanziger Jahre gelingt ihm in den Romanen Knaben und Mörder und Die Verstümmelten die distanzierte Darstellung der „von innen und außen geknechteten Menschen“ - so Gustav Krojanker über die Werke seines Freundes Ungar.

In den Romanen und Erzählungen, die dem Krieg folgen, hat Ungar mit dem Pathos auch seine Hoffnungen verloren. Der spätere Kern aller Arbeiten - „Knechtschaft und Abhängigkeit“ - wird in diesem Drama präludiert. Die Utopie eines gewaltlosen, friedlichen Lebens aber, mit der das Stück endet, weicht innerhalb weniger Jahre einem bitteren Pessimismus.

1918 ist Ungar noch der Illusion verhaftet, Literatur könne die Welt verändern. Wenige Jahre später analysiert er die Zerstörung seiner Figuren mit solch chirurgischer Präzision, daß keine Hoffnung bleibt. Der zeitliche Abstand vom Ersten Weltkrieg und die politischen Entwicklungen machten die 1918 so notwendigen Hoffnungen zunichte.

Im Drama Krieg werden Erfahrungen und die aus der Verzweiflung geborenen, zum Überleben notwendigen Hoffnungen ungefiltert durch Kunstanstrengungen abgebildet. Das Stück ist Ausgangspunkt persönlich-literarischer Entwicklungen, die zu jenem düsteren Pessimismus führten.

Sudhoffs Edition bietet einen Schlüssel zum Verständnis der späteren Arbeiten Ungars.

Wolfgang Brosche

Hermann Ungar. Krieg. Drama aus der Zeit Napoleons, nebst zwei bisher unveröffentlichten Erzählungen. Herausgegeben von Dieter Sudhoff. Igel Verlag, Paderborn 1990, 79 Seiten, 34 DM