Japanische Reisbauern gegen den Rest der Welt

■ Das Importverbot für das „nationale Kulturgut“ soll beim Gatt verhandelt werden / Bauernverband verteidigt ein Siebenfaches des Weltmarktpreises

Aus Tokio Georg Blume

Nippons „Nahrungssicherheit“ stehe auf dem Spiel. Das gesamte Tokioter Kabinett sei gegebenenfalls zum Rücktritt bereit. Es gelte, einen „bedeutenden Teil der japanischen Kultur“ zu verteidigen - so verfügte zuletzt das Parlament. In Japan, einem Land, das keine Sommerpause kennt, dreht sich die gleichwohl erhitzte Sommerdebatte trotz Wüstenkrieg in Nahost um den ältesten aller Streitäpfel: den täglichen Reis. Vor nicht einmal hundert Jahren kämpften Nippons Bauern noch um die in Reiskörnern abzugleichenden Bodensteuern an Landesherren und Tenno. Heute haben es die Landwirte nicht mehr mit dem göttlichen Kaiser, wohl aber mit der ganzen Welt zu tun. Sie stemmen sich gegen die Aufhebung des in Japan gesetzlich verankerten Importembargos für Reis.

Die achtzig Mitgliedstaaten der Gatt-Gespräche über ein „Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen“ sind mit ihrer Geduld am Ende. Im Dezember werden die langwierigen, bereits 1986 einberufenen Verhandlungen der sogenannten „Uruguay -Runde“ des Gatt enden. Das Ergebnis eines weltweiten Zollvertrages aber steht noch aus. Denn zuvor müssen sich nicht nur US-Amerikaner und Europäer im Streit über die Zollschranken der EG einigen. Auf dem Verhandlungstisch muß auch noch japanischer Reis gekocht werden.

Das aber haben die Regierenden in Tokio bisher mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Eine Ende Juli eiligst einberufene Tagung der Landwirtschaftsminister aus den USA, Kanada, Australien, Japan und der EG konnte am japanischen Reisembargo nicht rütteln. Auch ein Anfang des Monats veröffentlicher Gatt-Bericht über Nippons weiterhin existierende Handelsschranken konnte Tokio nicht beeindrucken. Statt dessen verkündete das japanische Landwirtschaftsministerium im August, daß die Reisfrage auch nach dem Ende der Uruguay-Runde „auf dem Gatt -Verhandlungstisch bleiben werde“, ein Kompromiß derzeit also gar nicht angestrebt werde. Die hochgeschraubten japanischen Argumente von der „Nahrungssicherheit“ und vom „nationalem Kulturgut“ sind freilich vorgeschoben. Für Tokio geht es in der Streitfrage um mehr als die alltägliche Reisschüssel. Gerettet werden soll ein strategischer Knotenpunkt von Nippons staatlich geplanter Marktwirtschaft: der Bauernverband Nokyo.

Seit der von der US-amerikanischen Besatzungsmacht verfügten Landreform dient Nokyo als Mittel zur wirtschaftlichen und politischen Kontrolle der Landbevölkerung. Bauern werden zum Beitritt in den Verband gezwungen, weil ihnen auf anderem Wege nahezu sämtliche Möglichkeiten der Kreditbeschaffung und des Produktabsatzes versperrt sind. Über Nokyo werden gleichzeitig 97 Prozent der direkten Regierungssubventiontion für die Landwirtschaft abgewickelt. Auf diesem doppelten Weg erstarkte der japanische Bauernverband zum vermutlich reichsten Geldinstitut der Welt und avancierte zu einem entscheidenen politökonomischen Faktor. Von 4 Milliarden DM im Jahr 1950 steigerte der Verband seine Rücklagen auf 1,3 Billionen DM im Jahr 1989. Daß diese Entwicklung trotz der rückläufigen Zahl der Landbevölkerung möglich war, läßt sich allein durch die wachsende politische Bedeutung Nokyos erklären.

Noch vor den Parlamentswahlen im Februar haben Nippons Parteien Einigkeit für ihre Bauern bezeugt. Ob Liberaldemokraten, Sozialisten oder Kommunisten, alle gelobten, das Land vor den drohenden Reisimporten zu schützen. Ein Blick auf Nippons Wählerlandschaft reicht freilich aus, um den politischen Konsens zu erklären: 20 Millionen Japaner oder 16 Prozent der Bevölkerung gehören einer Bauernfamilie an, wenngleich nur 15 Prozent dieser Familienmitglieder vollberuflich in der Landwirtschaft tätig sind. Dieser Umstand macht einen ungewöhnlich großen Wähleranteil für bäuerliche Interessen zugänglich. Dazu kommt, daß die Stimmabgaben auf dem Lande ein dreifach höheres Gewicht haben als die in der Stadt - dafür sorgt die althergebrachte Wahlkreisaufteilung aus vormodernen Zeiten. Es gilt in Japan als ungeschriebenes politisches Gesetz, daß die seit 40 Jahren regierenden Liberaldemokraten ihre Herrschaft nicht verlieren werden, solange die Bauern auf ihrer Seite stehen. Dafür aber sorgt Nokyo.

Der Verband ist überall. Die Nokyo-Bank besitzt 16.314 Zweigstellen im Land, mehr als jede andere, und sie dienen zu Wahlkampfzeiten der Austellung von Parteipropaganda der Regierenden. Somit gedeiht die japanische Landwirtschaft wider alle ökonomische Vernunft zum politischen Selbstläufer. Das dokumentiert sich in der Betriebsgröße. Der japanische Reisbauer besät durchschnittlich nur 0,59 Hektar Land. Und das spürt der Kunde beim Preis. Er zahlt ein Siebenfaches des Weltmarktpreises. Etwa 1.300 DM pro Jahr muß der Durchschnittshaushalt in Japan drauflegen. Das leuchtet heute auch manch gutgesinntem Steuerzahler nicht mehr ein. Umfragen zufolge befürworten inzwischen über 60 Prozent der Japaner ein Ende des Importverbots für Reis.

An der öffentlichen Meinung im eigenen Land haben sich Nippons Politiker freilich selten gestoßen. Der internationale Protest ist ihnen eher befremdlich. Gegenüber den USA verweisen sie darauf, daß eine Öffnung des japanischen Reismarkts kaum Einfluß auf das vielbeklagte US -Handelsdefizit mit Japan hätte. Doch George Bush steckt nicht zurück. Er ließ eigens ein Gipfelgespräch mit Premierminister Kaifu für den kommenden September einberufen - mit dem erklärten Ziel, die japanische Regierung in der Reisfrage umzustimmen. Die aber ist unnachgiebig. Zwar haben prominente Regierungspolitiker wie der ehemalige Premierminister Takeshita und Fraktionschef Miyazawa öffentlich bekundet, daß Reisimporte in der Zukunft unvermeidlich sein werden; zwar muß sich der Außenhandels und Industrieminister kraft seines Amtes für eine neue Reispolitik stark machen, und es gibt auch weitreichende Kompromißvorschläge aus der Uruguay-Runde, die Nippon erlauben würden, über Jahrzehnte hinweg weiterhin Tarifzölle auf Reisimporte zu schlagen - doch hier geht es um ein japanisches Prinzip: um die Treue der Bauern. Und damit - ob zu Zeiten der Bauernverbände oder des Großgrundbesitzes letztendlich um die Regierung unter der aufgehenden Sonne.