Amnestie soll auch für DDR-Urteile gelten

■ Berliner Justizsenatorin erweitert Amnestievorschläge / DDR-Justizminister soll Rechtsstaatlichkeit von Urteilen der DDR-Gerichte prüfen / Amnestie diene dem Rechtsfrieden / Berlin übernimmt Verantwortung für DDR-Gefangene

Berlin (taz) - Die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) hat ihre Vorschläge für eine Amnestie zum Zeitpunkt der deutschen Vereinigung erweitert: In einem Brief an DDR-Justizminister Wünsche regt sie eine „großzügige Amnestie“ auch für die Strafverfahren in der DDR an, in denen „unverhältnismäßige Strafen verhängt und der Mindeststandard rechtsstaatlichen Verfahrens mißachtet worden sind“.

In ihrer Eigenschaft als Berliner Justizsenatorin sei sie wiederholt von BürgerInnen der DDR angesprochen und um Rat ersucht worden, schrieb Jutta Limbach am 31. Juli an den Ostberliner Justizminister Wünsche (Ex-LDPD). Nach Gespächen und Besuchen in den Strafvollzugsanstalten der DDR seien zudem ihre „Zweifel an der Vereinbarkeit vieler Verfahren und Strafen mit rechtsstaatlichen Prinzipien bestärkt“ worden. Mit Rücksicht auf die Vereinigung der beiden deutschen Staaten bat sie nun ihren Ostberliner Kollegen, „auch außerhalb des politischen Strafrechts“ darüber nachzudenken, ob schon jetzt „für einen näher zu umreißenden Kreis von Straftaten Straffreiheit, eine Herabsetzung der erkannten Strafe oder (...) die Strafaussetzung auf Bewährung erkannt werden kann“.

In der letzten Woche hatte die Berliner Justizsenatorin eine Begnadigung in der Bundesrepublik vorgeschlagen, unter die verurteilte Mehrfach- und Totalverweigerer, BlockadeteilnehmerInnen von militärischen Einrichtungen und Volkszählungsboykotteure fallen sollten. Die „versöhnende Geste“ sollte auch für diejenigen gelten, die wegen „Werbens für eine terroristischen Vereinigung“ nach Paragraph 129a abgeurteilt worden sind.

Die jetzt vorgeschlagene Amnestie könne auch die Probleme lösen helfen, die „mit dem Zusammenschluß der beiden Rechtsgebiete“ besonders auf das Land Berlin zukommen. Mit dem Tag der Vereinigung werde Berlin die Verantwortung für 300 bis 500 Strafgefangene übernehmen, die von Gerichten in Ost-Berlin verurteilt worden waren. Diese Verantwortung erstrecke sich dabei nicht nur auf den Strafvollzug, sondern auch darauf, „daß die verhängten Freiheitsstrafen den Grundsätzen der neuen Verfassungs- und Rechtsordnung entsprechen“. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen kann nach den Worten Limbachs dort zweifelhaft werden, wo das Urteil auf inzwischen aufgehobenen Strafvorschriften beruht, oder wenn „die Höhe der Strafe das bei uns übliche erheblich überschreitet“. Das gleiche gelte für Urteile, in die „sachfremde, ideologische Überlegung“ eingeflossen sind, oder wenn das frühere Ministerium für Staatssicherheit als Untersuchungsorgan an den Strafprozessen mitgewirkt hat. Notwendig sei daher eine „justizförmige Aufarbeitung einzelner, bereits abgeschlossener Verfahren“. Angesichts der Vielzahl könnte eine Amnestie die Anzahl der Einzelfall -Prüfungen erheblich reduzieren. Dies würde auch dem „Rechtsfrieden in einem vereinten Deutschland dienen“.

Für eine „Amnestie mit Augenmaß“ plädierte der Karlsruher Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Sie soll für ehemalige Stasi-Mitarbeiter gelten, die in der Bundesrepublik der Spionage verdächtigt werden. Von einer Begnadigung will er allerdings diejenigen ausnehmen, die sich „schwere Brüche der Prinzipien Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit“ zu Schulden kommen ließen. Als Beispiel nannte er den frühren Spionageabwehrchef des Kölner Verfassungschutzes, Hansjoachim Tiedge, der sich 1985 in die DDR abgesetzt hat. In seinem Fall ist für von Stahl „die Grenze weit überschritten“. Tiedge habe monatelang nicht nur die bundesdeutsche Spionageabwehr lahmgelegt, sein Verrat sei „wahrscheinlich“ auch dafür verantwortlich, daß ein BND -Mann im berüchtigten Gefängnis von Bautzen „auf ungeklärte Weise“ ums Leben kam.

Wolfgang Gast