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Greifswald: Block V ohne Kontrolle

■ Drei Schichten ließen die Betriebsmannschaften den Reaktor unüberwacht DDR-Atomzenrale wurde vom Vorfall nur über Umwege informiert

Berlin (taz) - Unmittelbar nach dem Austausch der Kraftwerksleitung in Greifswald haben die Schlampereien in der DDR-Atomzentrale einen weiteren Höhepunkt erreicht. Über drei volle Schichten waren die Betriebsmannschaften in der vorletzten Woche praktisch ohne Information über den physikalischen Zustand des Blockes V der Anlage, weil die Ionisationskammern zur Messung der Neutronendichte aus dem Reaktorkern herausgefahren waren. Das bestätigte gestern Lothar Albrecht vom „Staatlichen Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz“ (SAAS) der taz.

Die staatliche Überwachungsbehörde habe von dem „außergewöhnlichen Ereignis wieder nur über Umwege erfahren“, sagte Albrecht. Der Vorfall sei von seiner Behörde in die „mittelschwere Störfallkategorie“ eingeordnet worden. Diese Einstufung steht für Ereignisse, bei denen jeder zusätzliche Fehler zu einer konkreten Gefährdung führen würde. Albrecht betonte, daß der Reaktor zum Zeitpunkt des Ereignisses zwischen dem 25. Und 27. Juli nicht in Betrieb gewesen sei. Die Brennelemente (Brennstoffkassetten) hätten sich zwar im Kern befunden, die atomare Kettenreaktion sei jedoch durch die Zugabe des Neutronenschluckers Borsäure ins Kühlwasser unterbrochen gewesen. Ein Ausfall der Borsäurezufuhr während des Zeitraums, als der Reaktorkern praktisch ohne Überwachung war, hätte eine kritische Situation herbeigeführt.

Nicht bestätigen wollte Albrecht Informationen der taz, wonach die Reaktormannschaften während der unüberwachten Phase die Position der Brennstoffkassetten im Reaktorkern verändert haben. Allerdings liege der von der SAAS angegorderte „endgültige Bericht“ aus Greifswald noch nicht vor. Verantwortlich für die Schlamperei ist nach Ansicht des SAAS vor allem die sogenannte „Inbetriebsetzungsleitung“ des Kraftwerksbauers Kraftwerksanlagenbau in Ost-Berlin.

In Greifswald werden nun offenbar Konsequenzen aus dem neuerlichen Vorfall debattiert. Sanktionen gegen das Personal der drei betroffenen Schichten - die Rede ist von Aberkennung der Qualifikation, über Beurlaubung bis hin zur Entlassung - scheinen nicht mehr ausgeschlossen. Seit Anfang Juli unterliegen auch die Greifswalder Reaktoren bundesdeutschem Atomrecht. Paragraph 17 des Atomgesetzes schreibt einen Entzug der Betriebsgenehigung unter anderem dann zwingend vor, wenn Zweifel an der Zuverlässigkeit und Fachkunde von Kraftwerksleitung und Personal bestehen. Diese Möglichkeit müsse man „nach der Auswertung des schriftlichen Berichts in Betracht ziehen“, sagte Albrecht. Michael Sailer, Reaktorexperte vom Öko-Insitut in Darmstadt und Koautor einer Studie über die AKW-Zentrale an der Ostsee, nannte den Entzug der Betriebsgenehmigung gestern „juristisch zwingend“.

Gerd Rosenkranz

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