Drei Mio Trabis sind fünf Mio Wähler

■ Das meistgefahrene Auto der DDR ist „hochgradig verkehrsunsicher / Nur Übergangsfristen können den Zweitakter aus Hartplaste noch retten / Crashtests belegen die Lebensgefahr für die Insassen

Berlin (taz) - Was passiert mit den 3,8 Millionen Trabis? Das nach wie vor am meisten gefahrene DDR-Modell verstößt in vielen Punkten gegen bundesdeutsche Zulassungsbestimmungen und ist nach Einschätzung von Fachleuten wie des Münchner Unfallforschers Max Danner „hochgradig verkehrsunsicher“. Bis Freitag dieser Woche wollen DDR-Verkehrsminister Gieptner und die in der DDR neugegründete „Deutsche Kraftverkehrsunion“ ein Konzept vorlegen, um den Trabi (und andere DDR-Autos) vor dem schnellen Ende zu retten. Um ab Oktober über den TÜV zu kommen, ist es mit Nachrüstungen nicht getan. Der Zweitakter braucht Ausnahmeregelungen für zwei, drei oder mehr Jahre.

Die Verkehrsunsicherheit des zu Zeiten der Novembertage noch zärtlich gehätschelten Kleinwagens stellte der Münchner Unfallforscher Max Danner fest. Nach dem Prüfen das Hartplaste-Fahrzeugs auf Herz und Nieren kam er zu erschreckenden Ergebnissen. Das wichtigste: Der Trabi verfügt über keinerlei Knautschzone und kann schon bei Unfällen im unteren Geschwindigkeitsbereich zur tödlichen Falle werden. Bei Crashtests brach die Außenhaut des Trabi schon bei Tempo 30 zusammen und splitterte weg, ohne den Aufprall abzufangen. Wer mit diesem Auto bei Tempo 40 gegen eine Mauer fährt, hat „kaum eine Überlebenschance“. Danner simulierte auch den typischen Auffahrunfall. Er ließ ein bundesdeutsches Durchschnittsauto mit Tempo 45 gegen das Heck des Trabi krachen, der daraufhin gegen eine Barriere gedrückt wurde. Die Dummies im Fahrraum wurden schwer beschädigt, Indiz für schwerste Verletzungen der Insassen im Ernstfall.

Schon bei Kollisionen mit Tempo 15 bis 30 seien Trabi -Passagiere „stark gefährdet“. Lenksäule und Lenkrad seien so unglücklich angeordnet, daß sie „wie eine Lanzenspitze ins Wageninnere geschoben werden“. Die Lenkradschaltung erhöhe die Verletzungsgefahr im Kniebereich. Der gesamte Innenraum ist, so Danner, „überhaupt nicht entschärft und kann bereits bei kleinsten Insassenbewegungen zu Verletzungen führen“. Als brenzlig stuft der Unfallforscher die Position des Tanks im Motorraum an, direkt in der gefährlichen Kollisionszone. Hier sei die Brandgefahr besonders hoch. Schwere Mängel der Bremsanlage und der Beleuchtung kämen hinzu.

Angesichts dieser kapitalen Mängel sieht Danner keine Chance, daß dieses Auto jemals die Zulassungsbestimmungen erfüllen könne. Vor allem die älteren Modelle aus den 70er Jahren seien in hoffnungslosem Zustand und müßten so schnell wie möglich ausgemustert werden. Im BRD-Verkehrsministerium ist Danners Studie bekannt. Doch zugleich sieht man das Problem, daß „wir nicht einfach drei Millionen Leuten ihr Auto wegnehmen können“, so Sprecher Peter Schimikowski. Für den Trabi gebe es „noch kein Stillegungskonzept“.

Im DDR-Verkehrsministerium wird mit Übergangsfristen gerechnet. Die Fakten aus der Sicherheitsanalyse von Prof. Danner seien zwar richtig, aber „wir fahren seit 30 Jahren Trabi und haben uns immer noch nicht ausgerottet“, formuliert Ministeriumssprecher Happach drastisch. Aber auch Happach ist angesichts der „wachsenden Rücksichtslosigkeit auf unseren Straßen“ in Sorge. Immer häufiger stoßen Trabis nicht mehr mit Trabis zusammen, sondern mit schweren Westautos. Trotzdem können Trabifahrer mit einer großzügigen Behandlung rechnen. „Es ist ja Wahlkampf“, hieß es gestern in Ost-Berlin, „drei Millionen Trabis sind fünf Millionen Wähler...“

Manfred Kriener