„DDR-Interessen nicht hinreichend eingebracht“

■ DDR-Finanzminister Walter Romberg (SPD) zur Lage

INTERVIEW

taz: Wird die SPD-Fraktion am Mittwoch in der Volkskammer einen Antrag auf sofortigen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik stellen?

Dr. Walter Romberg: Ich denke, die SPD wird nicht den sofortigen Beitritt beantragen. Die SPD will den Beitritt zum 15. September erklären. Nach Meinung der Fraktion müssen zuvor die Verhandlungen über den Einigungsvertrag abgeschlossen werden. Auch die Zwei-plus-vier-Verhandlungen sind genannt worden. Aber das Grundproblem besteht darin, die Ergebnisse des Einigungsvertrages positiv zu gestalten.

Wie sehen Sie das denn für Ihr Finanzressort?

Von Tag zu Tag verstärkt sich mein Eindruck als Finanzminister, daß der Verhandlungsführer, der CDU -Fraktionsvorsitzender ist, dahin zielt, die Bereiche Finanzen, Vermögen und Treuhand entsprechend dem ersten Entwurf festzuschreiben. Das entspricht allerdings nicht den Intentionen meines Ministeriums.

Der Fraktionsvize der West-SPD, Horst Ehmke, hält einen Beitritt der DDR „noch diese Woche“ für möglich. Dem würden Sie sich also auf keinen Fall anschließen?

Ich schließe mich meiner Volkskammerfraktion an. Für mein Ressort sehe ich keine neuen Verhandlungsergebnisse. Wenn dies auch bei den anderen Ressorts der Fall sein sollte und genau darüber wird momentan nachgedacht - dann sehe ich große Probleme, einen Einigungsvertrag mitzutragen. Ich habe es dem Ministerpräsidenten am Montag mitgeteilt: Was im Bereich Finanzen, Vermögen, Treuhand vorliegt, halte ich nicht für akzeptabel.

Welche Möglichkeit sehen Sie, Ihre Position im Rahmen der Verhandlungen durchzusetzen?

Ein Koalitionsgespräch muß klären, ob es noch Spielräume gibt. Ich sehe sie im Augenblick nicht.

Der Ministerpräsident hat Ihnen einen Rüffel erteilt, weil sie „wenig verantwortungsvoll“ mit ungesicherten Zahlen über das Milliarden-Haushaltsloch in die Öffentlichkeit gegangen seien. Wer hat denn nun Recht?

Diese Kritik weise ich zurück. Belegbar sind die zehn bis zwölf Milliarden Mark als jetzt schon quantifizierbarer Finanzbedarf. Darin nicht enthalten sind die noch nicht quantifizierbaren Aufwendungen für die Arbeitslosenversicherung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die in den nächsten Monaten notwendig werden.

Ist das Votum der SPD für einen früheren Beitrittstermin nicht ein Eingeständnis des Scheiterns auch der sozialdemokratischen Minister?

Gescheitert sind nicht die sozialdemokratischen Minister. Gescheitert ist der Versuch, die Interessen der Bevölkerung auf dem jetzigen Territorium der DDR hinreichend einzubringen in die künftige deutsche Republik. Immer größer wird die Gefahr des Verlassens des föderativen Prinzips zugunsten einer übergewichtigen zentralstaatlichen Regulierung des DDR-Territoriums durch die Behörden, Ministerien und Institutionen des Bundes. Das gilt für das Konzept der Treuhand, die eine Anstalt des öffentlichen Rechtes werden soll unter Aufsicht des Bundesfinanzministeriums. Das gilt für die vorgesehene Verfügung des Bundes über die Verwertung des Verwaltungs und Finanzvermögens. Wir wollten diese Kompetenz den Ländern zusprechen. Und es gilt auch für die Finanzierung der künftigen Länder. Wir wollten die Gemeinschaftssteuern vorrangig den Ländern zur Verfügung stellen, um so eine tragfähige Finanzbasis auf Dauer zu sichern. Nach den jetzigen Vorstellungen muß es ab 1992 zu einer enormen Verschuldung der Länderhaushalte von 90 Milliarden Mark in vier Jahren kommen.

Ist das Joint-venture „Deutsche Einheit“ pleite?

Es wird sehr viel mehr kosten, als gedacht wurde. Man kann nicht die Übertragung der bundesdeutschen Wirtschafts- und Rechtsformen beigleichzeitiger Auflösung der bisherigen Marktbeziehungen der DDR dem Selbstlauf überlassen.

Geben Sie damit Oskar Lafontaine im Nachhinein Recht?

Er hat in vielen Punkten Recht bekommen. Auch ich war für einen stufenweisen Prozeß vom Währungsverbund zur Währungsunion, für einen Prozeß von der Konföderation zur Vereinigung. Wir alle haben unter Hektik und Zeitdruck an den verschiedensten Stellen gelitten und vor allem die Probleme noch weniger bewältigen können.

Dabei hat die SPD doch wohl auch einige Essentials aufgegeben. Was außer Spurenelementen ist denn zum Beispiel von der SPD-Position geblieben, die deutsche Einheit müsse in den europäischen Einigungsprozeß eingebettet werden?

Bei den Nachbarn ist mehr geblieben als bei uns. Die Probleme haben sich derart beschleunigt und vergrößert, daß vieles von der europäischen Sicht verloren gegangen ist. Ich bin überzeugt, daß es aber bald sichtbar wird, daß wir die Probleme nur gesamteuropäisch werden lösen können. Wirtschaftlich gesehen, werden wir unsere Probleme hier nur bewältigen, wenn unsere Produkte auf dem osteuropäischen Markt abgesetzt werden können. Deshalb werden wir gezwungen sein, uns wieder sehr viel stärker in die mittel- und osteuropäische Perspektiven einzubinden.

Interview: Petra Bornhöft