ANC stellt bewaffneten Kampf ein

■ Der weiße Regierungschef de Klerk und der schwarze ANC-Vize Nelson Mandela einigten sich gestern auf eine Übereinkunft, die die Wende am Kap bedeuten könnte. Der ANC suspendiert sämtliche bewaffneten Aktionen. Zudem sollen weder weitere ANC-Partisanen noch weitere Waffen für den schwarzen Widerstand nach Südafrika einsickern. Die Regierung ihrerseits verspricht eine Amnestie für über tausend politische Gefangene.

Agreement in Südafrika

Während in der Nacht zum Dienstag die Delegationen von Regierung und Afrikanischem Nationalkongreß (ANC) im „Alten Präsidentensitz“ verhandelten, vertrieben sich die über hundert wartenden Journalisten im einen Kilometer entfernten „Unionsgebäude“, dem Regierungssitz in Pretoria, die Zeit. Informationen aus dem Verhandlungsraum waren knapp. Je später es wurde, desto verstörter liefen die Vertreter des regierungsamtlichen Informationsbüro durch den Raum und fragten immer wieder, wann denn für die Zeitungen der wirklich letzte Redaktionsschluß sei.

Aber für die meisten Zeitungen war es dann doch noch nicht zu spät, als Präsident Frederik de Klerk und ANC -Vizepräsident Nelson Mandela sich nach mehr als 15 Stunden Verhandlungen kurz vor ein Uhr der Presse stellten. „Waffenstillstand!“ titelte die Johannesburger 'Daily Mail‘, „ANC suspendiert bewaffnete Aktionen“ die konservative Tageszeitung 'The Citizen‘.

Doch am Dienstag morgen waren sich die meisten Kommentatoren unsicher, welche Konzessionen der ANC der Regierung im Tausch für die Suspendierung bewaffneter Aktionen abgerungen hatte. „Um so schnell wie möglich zu einer politischen Verhandlungslösung zu kommen und im Kontext der Abkommen kündigt der ANC an, daß er alle bewaffneten Aktionen mit sofortiger Wirkung suspendiert“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung von Regierung und ANC. „Es werden keine weiteren bewaffneten Aktionen und damit verbundene Aktivitäten des ANC und seiner Armee Umkhonto We Sizwe mehr stattfinden.“ Mandela fügte hinzu, daß der ANC keine Waffen oder Personal mehr nach Südafrika einschmuggeln werde. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Regierung und ANC soll bis zum 15. September die „noch offenen Fragen“ klären.

Mit dieser dramatischen Entscheidung gibt der ANC seine bisherige Entschlossenheit, nur einen für beide Seiten gültigen Waffenstillstand zu akzeptieren, auf. Stattdessen kündigte die Organisation eine einseitige Suspendierung des bewaffneten Kampfes an. „Wir haben eine sehr weitreichende Konzession gemacht“, betonte Mandela. Bisher hatte der ANC immer betont, die südafrikanische Polizei müsse im Gegenzug gewalttätige Angriffe auf friedliche Demonstranten aufgeben. Davon ist in dem Abkommen keine Rede.

Mandela und de Klerk stritten sich allerdings vor der Presse über die Rolle der Polizei. Mandela warf der Regierung vor, die Kontrolle über die Polizei verloren zu haben - „oder die Polizei tut, was die Regierung wünscht“. De Klerk betonte seinerseits, daß Polizisten, die gegen das Gesetz verstoßen hätten, diszipliniert würden. Dazu Mandela: „Der ANC ist mit der Antwort, die der Staatspräsident gerade gegeben hat, nicht zufrieden.“ Der ANC habe der Regierung wiederholt Dokumente vorgelegt, die die Beteiligung von Polizisten an Gewaltübergriffen belegten.

De Klerk betonte, daß die beiden Delegationen im Laufe der Gespräche ausführlich über dieses Thema diskutiert hätten. Schließlich gab sich Mandela mit Versicherungen de Klerks zufrieden, bei nachgewiesenen Übergriffen werde gegen die Polizei vorgegangen.

über tausend Gefangene sollen amnestiert werden

Neben der Einstellung des bewaffneten Kampfes war ein Abkommen über eine Amnestie für politische Verbrechen wichtigstes Ergebnis der Verhandlungen. Ein von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe seit Anfang Mai ausgearbeiteter Bericht wurde gutgeheißen. Er definiert im einzelnen, für welche Vergehen Straffreiheit garantiert werden soll. Der Prozeß soll in verschiedenen Schritten ablaufen. Eine erste Amnestie ist am 1. September zu erwarten. Spätestens bis zum 30. April 1991 sollen dann mehr als tausend politische Gefangene wieder auf freiem Fuß und mindestens 20.000 Personen aus dem Exil zurückgekehrt sein.

Das Abkommen sieht auch eine Revision der Sicherheitsgesetze vor, um die Einschränkung politischer Aktivitäten aufzuheben. Die andauernde politische Gewalt in Südafrika, vor allem in der Provinz Natal, wird verurteilt. Die Regierung erklärte sich bereit, eine Aufhebung des Ausnahmezustandes in Natal „so bald wie möglich“ in Erwägung zu ziehen. Die Erklärung spricht von einem „Meilenstein auf dem Weg zu wahrem Frieden und Wohlstand für unser Land“. Der Weg zu den eigentlichen Verhandlungen über eine neue Verfassung für Südafrika sei nun geebnet. Aber auch andere Parteien sollen an diesem Prozeß beteiligt sein.

Zunächst bleibt allerdings eine gewisse Unsicherheit, ob der ANC den Waffenstillstand unter seinen Anhängern durchsetzen kann. „Ich weiß nicht, wie ausführlich die Basis innerhalb des ANC zu diesem Beschluß konsultiert worden ist“, meinte gestern Gary van Staden, Forscher am südafrikanischen Institut für internationale Angelegenheiten. „Hier handelt es sich, glaube ich, um eine Entscheidung, die auf sehr hoher Ebene gefällt wurde.“ Diese Unsicherheit zeigt sich auch in den Reaktionen von Organisationen wie dem südafrikanischen Kirchenrat (SACC) oder von Menschenrechtsanwälten. „Der SACC begrüßt das Abkommen“, hieß es gestern, „eine schwere Verantwortung liegt jetzt auf der Regierung de Klerks - sie muß alle Formen der Gewalt des Staates, vor allem der Polizei und der Armee, beenden.“

Ähnlich reagierten die „Rechtsanwälte für Menschenrechte“. „Wir machen uns weiter große Sorgen über die bewaffneten und einschüchternden Aktionen der Polizei“, hieß es in einer Erklärung am Dienstag. „Wir sind der Meinung, daß sie die größte Gefahr für die Aussichten auf ein friedlich ausgehandeltes Abkommen in Südafrika darstellen.“

Selbstverständlich bedeutet die Entscheidung des ANC nicht, daß die ANC-Armee nun aufgelöst wird. ANC-Kämpfer im In- und Ausland werden ihre Waffen weiter behalten und sich wohl auch weiter ausbilden. Aber die Tatsache, daß keine zusätzlichen Waffen und Kämpfer nach Südafrika geschmuggelt werden, bedeutet, daß der Untergrund des ANC innerhalb des Landes bleiben wird.

Unsicher bleibt auch die Reaktion militanter Jugendlicher, die den Entwicklungen am Verhandlungstisch ohnehin nicht trauen. Sowohl Jugendgruppen als auch die Gewerkschaftsföderation COSATU haben in den letzten Wochen zur Bildung von Selbstverteidigungsgruppen aufgerufen. Diese sollen im Falle von Angriffen politischer Rivalen oder der Polizei ANC-Anhänger verteidigen. Die Bildung solcher Gruppen wird vermutlich andauern.

Kritik an der ANC-Führung ist auch zu erwarten, nachdem Mandela die mögliche Suspendierung von Protestaktionen wie Kauf-, Miet- und Schulboykotten in Aussicht gestellt hat. Zwar betonte er vor der Presse, daß solche Proteste solange andauern würden, bis es „geeignete Kommunikationsmechanismen“ gebe, um der Bevölkerung das Vortragen ihrer Beschwerden zu ermöglichen. Doch die Einrichtung solcher Kontaktmöglichkeiten wird in dem Abkommen vom Dienstag vorgesehen. Darauf könnte die Aufgabe von Protestaktionen folgen.

Andererseits hat der ANC mit seiner Suspendierung bewaffneter Aktionen der weißen Bevölkerung ein deutliches Signal gegeben: Es muß jetzt klar sein, daß der ANC es mit friedlichen Verhandlungen und seinem Bekenntnis zu friedlicher Veränderung ernst meint. De Klerk kann das seinerseits als konkretes Resultat von Verhandlungen mit „Kommunisten und Terroristen“ vorstellen.

Hans Brandt