„Echter Stahlhelmdemokrat“

■ Betr.: Interview mit Hucky Heck - „Kein Kulturgut, das schützenswert ist“ und Kommentar in taz vom 6.8.1990

L E S E B R I E F (E)

Wer bis jetzt noch Zweifel daran gehegt hatte, daß mit der gewonnenen deutschen Einheit die Vergangenheit endgültig unter der Gnade der späten Geburt begraben worden ist, dem wird wärmstens empfohlen, die Ergüsse des fortschrittlichen grünen Ortsamtsleiters Mitte/Östliche Vorstadt zu studieren. Eigentlich ist man mehr daran gewöhnt, solche Pamphlete an den Wänden gewisser Örtchen zu finden - sicherlich in kürzerer Form und einprägsamer - anonym. Höchstens verstohlen bislang unterzeichnet, z.B. mit Adolf. Doch weit gefehlt - dieses Mal ist sogar ein Grüner verewigt, schwarz auf weiß, in der taz - und sogar der Name steht dabei: Hucky Heck.

Nach Intro, er kenne jemanden, dem Roma angeblich etwas zuleide getan hätten, und er wüßte über Roma-Gören zu berichten, die völlig unbeaufsichtigt durch die Gegend streifen würden, erklärt er uns elegant, wie dieses ansonsten kein Rassist zu tun weiß, daß es auch unter den Roma und Cinti einige zu geben scheint, die gerne mal lange Finger machen. Unser Asylrecht bedeutet nicht, daß jeder, dem es auf der Welt schlecht geht, hierherkommen und bleiben soll, so seine Überzeugung als echter Stahlhelmdemokrat, darin kann er sich der Unterstützung all derer sicher sein, die für die Verteidigung des Asylrechts jeden Asylanten aus diesem unserem Vaterland vertreiben wollen. Die Vertreibung der Roma aus Bremen wird von ihm rechtfertigt durch den Rechtsstaat, durch Gesetze, die von der Mehrheit gemacht worden sind. Sind die Nürnberger Gesetze nicht auch Gesetze gewesen? A. France hat den Rechtsstaat auf den Punkt gebracht: „Das Schöne an einem Rechtsstaat ist, daß die Gesetze für alle Menschen gleich sind. Jeder wird dafür bestraft, wenn er im Winter unter Brücken schläft, aus Hunger Brot stiehlt, oder aus Not bettelt. - Der Arme genauso wie der Reiche.“

Warum verscheigt uns Hucky, daß sein Rechtsstaat im Ausländergesetz § 10 (Abs.8) vorsieht: Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn ... er bettelt ... oder als Landfahrer umherzieht; daß ein Ausweisungsgrund unter vielen die Volkszugehörigkeit Roma/Landfahrer sein kann? Wie sagte noch der Bremerhavener Bürgermeister: Es müsse jetzt gegen Roma exekutiert werden. Zufälle, in der Wortwahl vergriffen? Oder Stimmenfang am rechten Wählerrand? Will man zeigen, daß man sich ebensogut behakenkreuzigen kann wie die ewig Gestrigen? Wie steht es noch in dem alten Buch: „An seinen Früchten werdet ihr den Baum erkennen.“

Bis hierhin würde auch solch dummes „alle über einen Stammtisch ziehen“ noch belächelbar sein. Warmgeredet darf die Gesinnung tanzen. Die Ermordung unserer Menschen, der Holocaust, der im Namen des Deutschen Volkes unsagbares Leid über unsere Familien gebracht hat, die Tatsache, daß 80 % unseres Volkes dem deutschen Rassenwahn zum Opfer gefallen sind, daß unser Volk bis auf wenige Überlebende fast ausgerottet worden ist, wird von Herrn Heck verglichen mit dem Aussterben von Sauriern...

Wie soll man als Betroffener auf eine derart menschenverachtende Äußerung reagieren? Jeder von uns, die wir als Überlebende bis heute keine Ruhe vor denen finden, die uns verfolgen und vertreiben, hat Angehörige - Väter, Mütter, Großeltern, Tanten, Onkel, Kinder - verloren. Sie wurden von Deutschen im Namen des deutschen Volkes tausendfach vergewaltigt, zu pseudomedizinischen Experimenten mißbraucht - nicht etwa, weil sie den Deutschen etwas getan hätten, - nein, sondern lediglich, weil sie da waren, weil die Deutschen uns nicht wollten, weil wir „weg“ sollten.

Dr. Finger, ein Zeitgenosse Robert Ritters, des Endlösers der Zigeunerfrage, schrieb dazu: „Dieser Kleinkrieg gegen die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze der Gemeinschaft ist es, den wir in der Strafrechtspflege als kleine Kriminalität oder als gemeinschädliches Verhalten bezeichnen. Gerade durch die Geringfügigkeit der einzelnen Verstöße gegen die Rechtsordnung, aber auch dadurch, daß es sich zum Teil nur um Verstöße gegen ungeschriebene Gesetze der Gemeinschaft handelt, ist der Zustand solcher Menschen strafrechtlich schwer zu erfassen, obwohl man sich über die schädigende Wirkung völlig klar ist...“

Daß auch heute noch Fingers Ansichten, daß unser Verhalten, das Verhalten der Zigeuner - seiner schädigenden Wirkung auf die Gesellschaft der braven, anständigen Deutschen wegen energischer Vertreibung seitens der so bedrohten Mehrheit bedarf, versucht er zu erklären. Rational, vorurteilslos, selbstverständlich zweifellos unbelastet durch die Gnade der späten Geburt, und dadurch, Finger nicht gelesen zu haben.

Hatte nicht erst in dem Stadtstaat Bremen-Bremerhaven, in dessen Parlament noch vor ein paar Wochen der demokratisch gewählte Abgeordnete Wilhelm Schmidt, diesmal DVU, den Völkermord an über einer halben Million Roma mit dem Kommentar „mehr nicht, schade“ bedacht? Kein Wort darüber, stattdessen eine Belehrung, wie sich „junge Türken mit ihrem Chauvi- und Mackergetue in deutschen Diskotheken ... deutschen Frauen gegenüber verhalten“. Auch der sicherlich nicht „rassistisch“ gemeinte Hinweis, „das ist für mich kein Kulturgut, das schützenswert ist“, fehlt nicht.

Nein, dieser Herr ist kein Rassist! Diese Bezeichnung für ihn würde sicherlich nicht ausreichend sein, um zuzutreffen, sozial und national, wie er sich gibt. Das einzige, was an seiner Selbstdarstellung stimmt, ist, daß er Jesus nicht ans Kreuz geschlagen hat - das liegt aber daran, daß er zu spät geboren wurde.

Rudko Kawczynski, Rom und Cinti Union