Ensemble vom Magisenat spielt rot-grünes Theater

■ Zur Dramaturgie einer Krisensitzung / Vorgestern tagten Magistrat und Senat von morgens bis spät in die Nacht / Die ersten Akte im Roten Rathaus wurden gemeinsam geprobt, dann wurde getrennt weitergespielt

Jenseits aller „schwerwiegenden“ politischen Entscheidungen, die auf den Senats- und Magistratssitzungen getroffen werden, haben diese Sitzungen eine Dramaturgie, auch Tagesordnung genannt, die wir unseren LeserInnen nicht länger vorenthalten wollen. Seit Ende Mai tagen Senat und Magistrat wöchentlich fast immer gemeinsam und meistens im Roten Rathaus. Das Ensemble trägt mittlerweile den schönen Namen „Magisenat“. Da der Sitz der künftigen Stadtregierung im Roten Rathaus sein soll, tagt man meist schon dort - egal wie schlecht die Arbeitsbedingungen noch sind. Der Zeitplan wird fast nie eingehalten, gibt es doch im straff vororganisierten Westkonzept Irritationen, da sich die Ostler manchmal - politikbühnenunerfahren, wie sie sind nicht an die Vorgaben halten. Die ersten Akte werden gemeinsam aufgeführt - mit eindeutiger Westdominanz -, dann wird getrennt weitergeprobt. Da die Proben meist noch laufen, wenn die Routinevorstellung für die Presse um 14 Uhr beginnen soll, werden dann tröpfchenweise die Akteure auf die Bühne gezerrt - längere Pausen sind unvermeidlich. Ihrem absoluten Höhepunkt streben die Vorführungen bei den regelmäßig von westlicher Seite inszenierten Koalitionskrisen entgegen. So auch am Dienstag:

10 Uhr 30: Die Magisenatssitzung fängt an.

Bis etwa 16 Uhr: Gemeinsame Beratung von 60 Tagesordnungspunkten.

Kurz nach 17 Uhr: Der rot-grüne Senat widmet sich endlich dem eigentlich drängenden Problem, der Genehmigung des umstrittenen Forschungsreaktors am Hahn-Meitner-Institut.

Bis 18 Uhr 30: Heftige Debatte um atomrechtliche Fragen; die SPD ist mit einem Antrag angerückt, den die AL ablehnt. Erster Höhepunkt: Fraktionschef Ditmar Staffelt beantragt eine Auszeit (zum ersten Mal in der Geschichte der rot -grünen Koalition von SPD-Seite), nachdem bekannt geworden ist, daß Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller (SPD) einen Brief des schleswig-holsteinischen Energieministers Günther Jansen (SPD) völlig falsch zitiert hat. Der Brief sollte ihre Argumentation stützen, in Wahrheit tut er das Gegenteil. Die AL bleibt diesmal mehr oder weniger entspannt im Saal, die SPD-SenatorInnen tagen drei Stunden lang hinter verschlossenen Türen.

21 Uhr 30: Nach drei Stunden Auszeit kehrt die SPD zur gemeinsamen Sitzung zurück. Angeblich droht Momper mit Rücktritt, wenn keine Entscheidung gefällt wird (am nächsten Tag dementiert).

22 Uhr: Chefgespräch zwischen Walter Momper, Ditmar Staffelt, Michaele Schreyer und Bernd Köppl ein Stockwerk höher.

22 Uhr 30: Wieder gemeinsame Beratung aller, die nur fünf Minuten dauert. Der Senatssprecher kann endlich verkünden, daß ein Beschluß gefaßt wurde, und das war doch schließlich das Ziel der Veranstaltung.

Bis weit nach 23 Uhr: Pressekonferenz mit Momper und Schreyer. Schreyer bleibt hart, und Momper stellt fest, es gebe „einen gewissen Widerspruch in den Auffassungen“ ...

kd