James Grieve geht auf Bädertour

■ Die Apfelernte im Havelland beginnt mit schlechten Absatzchancen / Verkaufsfahrten bis nach Lübeck / LPG Nauen baut eine Reithalle / Hilfe durch die EG-Intervention für Getreide?

Glindow/Nauen. Die alten Leihkisten aus Holz stehen in einer dunklen Ecke der Lagerhalle. Bei der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Obst und Gemüse Glindow werden jetzt die frischgeernteten Äpfel in lindgrüne Pappkartons zu je zehn Kilo verpackt. „So wie im Westen, zeitgemäß“, kommentiert einer der Lageristen den neuen Look. Ob der hilft, die faustgroßen Äpfel der Marke „James Grieve“ besser an den Kunden zu bringen, ist allerdings noch die Frage. Wie schon bei den Tomaten (die taz berichtete) muß sich die LPG Glindow ihre Käufer zumeist auf der Straße suchen, denn die alten Abnehmer wie der Großhandel bestellen so gut wie nichts mehr. Wochenmärkte in Ost- und West-Berlin werden jetzt regelmäßig angefahren, wie zum Beispiel der auf dem Nettelbeckplatz im Wedding. Zudem gehen die hellgrünen Eßäpfel wie alte Schlagerstars auf „Bädertour“: von Lübeck über die Mecklenburgische Seenplatte nach Rostock. Zwei D-Mark kostet dann ein Kilo, eine ganze Kiste 18.

„Wir wollen nichts umkommen lassen“, begründet der Obst -Bereichsleiter der Glindower LPG, Andreas Berger (37), die Ostseetournee. Es gebe bei diesen Verkaufsaktionen „so gut wie keine Spanne“, fährt er fort, ein Paradox in den Zeiten der gerade angebrochenen Marktwirtschaft. Aber die Äpfel seien jetzt reif und müßten schnell abgesetzt werden: „James Grieve“ muß spätestens 14 Tage nach dem Pflücken beim Verbraucher sein, auch mit den eigenen Kühlhäusern könne man diese Spanne nicht beliebig verlängern.

Selbstkritisch räumt man auf den Glindower Feldern ein, daß die Produkte teilweise noch nicht dem westlichen Standard entsprechen - so seien zum Beispiel Pflaumen nach Ansicht vieler Westkäufer zu klein ausgefallen. Die Havelländer Obstproduzenten haben einen tiefen Fall hinter sich, denn früher war Frischobst in der DDR gefragte Mangelware. „Wir hatten eine absolute Marktlücke“, erinnert sich Andreas Berger.

Bis an die Ostsee werden die Kartoffeln der LPG Pflanzenproduktion Nauen nicht gekarrt: sie finden ihren Absatz durch zwei ständig zirkulierende LKWs zwischen Halberstadt und Henningsdorf. 1,50 D-Mark kosten zweieinhalb Kilo der Marke „Koretta“ beim Straßenverkäufer. Bisher noch im Netzbeutel verpackt, sollen die Knollen bald in Plastik eingeschweißt werden. Eine neue Anlage dafür hat LPG-Leiter Eike Peters bereits angeschafft. Plastik sei zwar der „Tod der Kartoffel“, meint der LPG-Chef, aber die Kunden, besonders im Westen, wollten es nun einmal so. Die rund 6.000 Tonnen Kartoffeln, die noch auf den Feldern rund um Nauen in der Erde stecken, haben bis jetzt noch keinen Abnehmer. Aber Peters, ein gewichtiger Mann, dessen 5.300 Hektar Anbaufläche gut einem Zehntel des Westberliner Territoriums entsprechen, bringen auch diese Mengen nicht aus der Ruhe. Über einen Export von tausend Tonnen in die UdSSR hat er schon nachgedacht, außerdem melden sich private Händler aus West-Berlin. Peters versucht in der Krise, dem Betrieb, der sicherlich schrumpfen muß, mehrere Standbeine zu geben: ein eigener Futtermittelbetrieb gehört dazu, eine Gräservermehrung oder auch der Bau einer Reithalle, die Pferdefreunde ins berlinnahe Nauen an der B5 locken soll.

Auf der Getreide-„Strecke“ hat sich die Lage etwas beruhigt. Die DDR-Anstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (ALM) nimmt seit dem 1. August Getreide zu einem Interventionspreis an, der den EG-Preisen entspricht. So werden von der ALM knapp 370 DM für eine Tonne Brotweizen bezahlt. In Nauen macht man jedoch darauf aufmerksam, daß neue Kosten für die Lagerung und Reinigung des Getreides entständen, denn eigene Kapazitäten fehlten weitgehend. Außerdem müsse auf eigene Kosten der Roggen nach Brandenburg und der Weizen ins gut 40 Kilometer entfernte Kyritz transportiert werden. Übrig bliebe letztlich ein Erzeugerpreis von 25 bis 27 DM pro Doppelzentner - zu wenig, wie Peters findet.

Von der Intervention zur Hilfe der maroden DDR -Landwirtschaft hat sich die Westberliner AL inzwischen wieder zurückgezogen. Der Verkauf von 20 Tonnen Kirschen an einem Wochenende sei eine „Initialzündung“ gewesen, meint AL -Pressesprecher Stephan Noe.

Christian Böhmer