Ausweg vermauert

■ Zwei Abtreibungsregelungen spalten die Berlinerinnen

KOMMENTAR

Die Mauer bleibt weiter bestehen - wenn sie auch diesmal „nur“ den Frauen vor die Nase gesetzt wird. Nirgendwo wird die vermeintliche Bonner „Fürsorglichkeit“ so konterkariert wie in einem zukünftig geeinten Berlin. Sind es die Ostberlinerinnen seit vielen Jahren gewohnt, das ihnen zustehende Verantwortungsbewußtsein wahrzunehmen - also bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei abtreiben zu können

-, hängen die Westberlinerinnen am Gängelband des bundesdeutschen Paragraphenwerks. Getrennt sind sie nur durch wenige Meter - doch diese Mauer bleibt unüberwindlich, da sei die Bundesregierung vor! Die Maßregelung lautet Wohnortrecht: Eine Westberlinerin, die in der Charite einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen läßt, muß mit Strafe nach Paragraph 218 rechnen. Noch absurder wird es im umgekehrten Fall: Läßt eine Ostberlinerin im Klinikum Steglitz abtreiben, so ist dies ein anerkanntermaßen straffreier Vorgang. Bleibt die Frage im Hinblick auf das in Zukunft vereinigte Berlin: Wer ist wann was? Ist eine Frau nur dann eine reine Ostberlinerin und kann so mit Straffreiheit rechnen, wenn sie auch in der Hauptstadt geboren ist? Was aber, wenn sie mittlerweile im Westteil der Stadt ihren Wohnsitz hat? Reicht es aus, ihren Wohnsitz per Behörde einen Tag vor dem Abbruch in den Ostteil der Stadt zu verlegen, oder muß sie gar dem Gesetzgeber im Falle einer Abtreibung ellenlange Schriftstücke aller Bekannten und Verwandten vorlegen, die ihre wahre Ostberliner Identität bezeugen?

Eine derartige Bevormundung der Frauen läßt sich wohl nur noch mit dem Schweizer Teilkanton Außerrhoden vergleichen, in dem dem weiblichen Teil der Bevölkerung bis heute (!) das Wahlrecht abgesprochen wird. Doch auch diese anachronistische Beschneidung soll nach dem Willen der Schweizer Regierung bald der Vergangenheit angehören während die bundesdeutsche Regierung sich nicht scheut, mit zwei unterschiedlichen Regelungen und dem dahintersteckenden Kalkül, den Paragraphen 218 auf das gesamtdeutsche Gebiet auszudehnen, die Frauen aus der DDR beherzt in das hinter ihnen geglaubte Dunkel der Vergangenheit zurückzuschubsen.

Der Beschluß des Senats, die Fristenregelung für ganz Berlin im zweiten Staatsvertrag festschreiben lassen zu wollen, ist nicht mehr als ein symbolischer Akt: Solange die Bundesregierung auch im vereinigten Berlin an unterschiedlichen Regelungen und dem Wohnortprinzip festhält, gibt es nicht den geringsten Hinweis für ein Loch in der Mauer.

Martina Habersetzer