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Brumels Auferstehung

■ Sportnachrichten-Agentur 'sid‘ mordet Hochspringer

PRESS-SCHLAG

So sind sie eben, die Russen: Vorenthalten uns doch glatt seit einem Jahr den Tod ihres Ex-Hochsprung-Olympiasiegers und Weltrekordlers Waleri Brumel. Natürlich weil er Selbstmord begangen hat. „Selbstmord verunstaltet aber das Bild vom 'Verdienten Meister des Sports'“, weiß der Sportinformationsdienst ('sid‘). Und wird, kennen wir doch, nach altbewährtem Muster totgschwiegen. Dennoch, der Westen ließt auch zwischen, notfalls gänzlich ohne Zeilen.

So enthüllte der 'sid‘: „Eine Mauer des Schweigens ist errichtet worden in Moskau. Niemand will sich zum Tod von Waleri Brumel äußern“. Ein eindeutiges Indiz. Zudem schrieb ein Sowjetblatt über den Selbstmord eines ungenannten Sportlers, der „aus freiem Willen aus dem Leben schied, weil er sich an den rekordlosen Alltag nicht gewöhnen konnte.“ Kein Zweifel: Brumel. Denn er, so erfährt der erschütterte Leser, hat Höhen und Tiefen in atemberaubender Schnelligkeit erlebt. 1960 Olympia-Zweiter in Rom, 1963 Weltrekord, 1964 Olympiasieger in Tokio. Das Schicksal ereilte ihn 1965, als sein Bein und damit seine Karriere bei einem Motorradunfall völlig zertrümmert wurde. 1971 nahm er nochmals an einem Wettkampf teil, kam aber nicht mehr hoch. Er verlegte sich aufs Bücherschreiben. 'sid‘: „Sein letzter Titel: Bleib dir treu. Dann wird die Spur diffus.“ Von da an weiß eigentlich niemand mehr was genaues über Brumel. Verdächtig! Und was hat doch noch die dem Alkohol verfallene Turn -Olympiasiegerin von 1968, Sinaida Woronina, erklärt: „Ich habe dem Sport alles gegeben, anschließend brauchte mich keiner mehr.“ „Aber darüber Schweigen die Russen lieber“, hetzt die 'Bild'-Zeitung. Und war da nicht auch der Fußballer Waleri Woronin, der mit allen Anzeichen von Selbstmord in einem Wald gefunden wurde? Keine Frage, alles spricht für Brumels Selbstmord.

Doch schon stört uns eine neue Horrornews in unserer tiefen Sommerlochtrauer: Brumels Freundin hat dem 'Deutschen Sportecho‘ gegenüber versichert, daß ihr Partner zwar gerade außer Haus, nichts desto trotz bei bester Gesundheit sei und momentan an einem Buch arbeite. „Toter schreibt ein neues Buch“, höhnt die DDR-Zeitung, just als in den großen BRD -Blättern der Nachruf erschien. Nun erwartet das 'Echo‘ Brumels neues Buch mit großer Aufmerksamkeit: „Ist es doch das Werk eines Todgesagten...“ .

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