Rot-grün steht vor der Kernspaltung

■ Senatskoalition in West-Berlin erneut auf Messers Schneide / SPD „verpflichtet“ AL-Senatorin Schreyer zur Genehmigung des umstrittenen Forschungsreaktors am Wannsee / Schreyer bleibt hart

West-Berlin (taz) - Einige Wochen älter als ihre hessische Vorgängerin ist die rot-grüne Koalition in West -Berlin mittlerweile geworden, trotzdem halten sich jetzt auch die Berliner an das Wiesbadener Vorbild. Ein Streit um die Atompolitik treibt die Senatskoalition in die Spaltung. Per Beschluß „verpflichtete“ die SPD-Mehrheit in der Stadtregierung am späten Dienstagabend AL-Umweltsenatorin Michaele Schreyer, dem umstrittenen Forschungsreaktor BER II des Hahn-Meitner-Instituts (HMI) eine Betriebsgenehmigung zu erteilen. Schreyer, die eine derartige Betriebserlaubnis wegen des fehlenden Entsorgungsnachweises nicht erteilen will, erklärte den Senatsbeschluß prompt für „rechtswidrig“. Sie kündigte zwar an, ihn zu „berücksichtigen“, will aber dennoch bei ihrer harten Haltung bleiben und dem HMI „bald“ einen entsprechenden Bescheid zustellen. West-Berlins Regierender Bürgermeister Momper wollte nicht verraten, wie die SPD in diesem Fall reagieren würde. Der Senat werde entscheiden, „wenn es soweit ist“, sagte er.

Die SPD hatte kürzlich gedroht, Schreyer die Zuständigkeit für das Genehmigungsverfahren zu entziehen. Der AL -Abgeordnete Bernd Köppl drohte für diesen Fall am Dienstag erneut „das Ende der Koalition“ an. Solange Schreyer „Frau des Verfahrens bleibe“, werde die AL die Koalition jedoch nicht beenden.

Auf die Frage, ob sie angesichts des Senatsbeschlusses nicht zurücktreten müßte, sagte Schreyer, diese Frage richte sich eher „an die anderen Senatsmitglieder“. Die AL -Senatorin vermißt, wie berichtet, einen hinreichenden Entsorgungsnachweis für die abgebrannten Brennstäbe des HMI -Meilers. Das Institut hatte bisher lediglich eine sechsjährige Zwischenlagerung im schottischen Dounreay angeboten und über den weiteren Verbleib des Atommülls keine Aussagen machen können. Die SPD war mit der Auffassung in die Senatsberatungen gegangen, dieses Konzept sei ausreichend, zog aber eine entsprechende Beschlußvorlage unter dem Eindruck der Schreyerschen Argumente zurück. Aufgrund Bonner Versäumnisse fehle ein „halbwegs schlüssiges Konzept“ zur Entsorgung von Atommüll, räumte Momper nach der Senatssitzung ein.

Die SPD berief sich in ihrem Senatsbeschluß schließlich auf einen Brief, den der Bonner Umweltminister Töpfer am 5. März an seinen Kollegen Riesenhuber geschickt hatte und in dem das Entsorgungskonzept des HMI als „zureichend“ bezeichnet wird. Im Interesse der „Rechtseinheit“ Westberlins mit dem Bund müsse Schreyer diese Position als verbindlich akzeptieren und den Reaktor genehmigen. Nach Mompers Worten sollte dieser Beschluß eine „goldene Brücke“ bilden, über die Schreyer den Reaktor genehmigen und trotzdem ihr Gesicht wahren könnte. Die Umweltsenatorin, die sich mit ihren AL -KollegInnen nicht an der Abstimmung im Senat beteiligt hatte, wies dieses Ansinnen zurück. Töpfers Brief - der ganze vier Zeilen lang ist - sei geschrieben worden, bevor das HMI einen Entsorgungsvertrag vorgelegt habe. Die Töpfer -Behörde habe außerdem „noch kein einziges Mal Akten angefordert“.

Schreyer sieht sich in ihrer Haltung von den SPD -Landesregierungen in Westdeutschland bestätigt. Ein der taz vorliegender Brief des Kieler Energieministers Jansen (SPD) an Mompers Senatskanzlei gibt der AL-Senatorin recht. In dem Schreiben bittet der Minister seine Westberliner Parteifreunde „dringend“, die „Beschlußfassung genau zu überdenken“ (siehe Dokumentation).

Hmt