„Iraks Militär überbewertet“

■ Dr. Harald Müller von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung über die Schlagkraft der irakischen Streitkräfte

INTERVIEW

taz: Die irakischen Streitkräfte gelten als sehr schlagkräftig. Teilen sie diese Einschätzung?

Harald Müller: Nein. Diese Einschätzung trifft zwar zu im Vergleich zu den Streitkräften anderer Länder in der Region. Kurzfristig kann der Irak dort viel Schaden anrichten. Aber längerfristig, zumal gegenüber Gegnern wie den USA ist er weit unterlegen.

Wie kommt es dann zu dieser weitverbreiteten Einschätzung?

Sie gründet sich auf eindrucksvoll klingende Zahlen: eine Million Soldaten, 4.500 bis 5.000 Panzer, 500 Kampfflugzeuge usw. Der zweite Grund ist, daß der Irak den achtjährigen Krieg mit dem Iran, der sehr viel mehr Menschen in den Kampf schickte, nicht verloren hat.

Wie modern sind diese Waffen, wie gut ist die Ausbildung der irakischen Soldaten?

Die Panzer sind zum größten Teil ältere Modelle - z.B. die sowjetischen T54 und T55 - die in Osteuropa seit langem bereits in den Depots stehen und als einsatzfähige Waffen nicht mehr ernst genommen werden. Die Ausbildung der Soldaten bleibt - mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten - weit hinter westlichen und auch hinter sowjetischen Standards zurück. Eine ganze irakische Panzerdivision hätte gegen eine halbe israelische oder US-amerikanische kaum eine Chance. Im Krieg mit dem Iran hat der Irak seine Panzer an der Frontlinie eingegraben und als Bunker benutzt, aus denen dann gefeuert wurde. In einer Auseinandersetzung mit Saudi -Arabien müßte der Irak seine Panzerverbände weiträumig durch die Wüste bewegen. Das erfordert Fähigkeiten etwa zum Verbundkampf zwischen Panzerverbänden und Luftwaffe, über die der Irak nicht verfügt. Die Saudis mit ihrem jahrelangen Training im Nato-Zusammenhang wären hier dem Irak überlegen.

Welche Rolle spielt die irakische Luftwaffe?

Im Krieg mit dem Iran ist nur eine kleiner Teil der irakischen Luftwaffe überhaupt zum Einsatz gekommen. Ihre glorreichsten Einsätze hatte sie gegen unbewaffnete Einsätze gegen unbewaffnete Öltanker der Iraner, ansonsten hat sie sich sehr bedeckt gehalten, ist nur in Frontnähe geflogen etc. Die Bombardierung der iranischen Städte erfolgte zumeist mit Raketen. Man hatte in Bagdad Angst, die - damals wie heute - wenigen gut ausgebildeten Kampfpiloten zu verlieren und dies, obwohl die Iraner über keine sehr gute Luftabwehr verfügten. In einem Krieg mit Saudi-Arabien hingegen hätte es die irakische Luftwaffe mit einer mit US und britischer Hilfe seit den 70er Jahren professionell aufgebauten Luftabwehr zu tun.

Teilen sie die Analyse, der Irak verfüge bereits über eine eigene Atombombe oder zumindest über die Technologie und Substanzen, um sie zu bauen?

Ich halte das für überzogen.

Interview: Andreas Zumach