Flammender Protest auf dem Lande

■ Bauernprotest für den 15. August im ganzen Land angekündigt / Agrarverbände klagen Untätigkeit des DDR-Landwirtschaftsministeriums an / Lage in der Landwirtschaft spitzt sich zum Chaos zu

Berlin (taz) - Im Sommer 1988 brachten unerkannte Saboteure die Bauern vor allem um Leipzig zur Verzweiflung. Sie zündeten ihnen die Scheunen an, wollten wohl „Zeichen setzen“.

Dieses Jahr sehen manche Bauern im flammenden Inferno den letzten Weg, um auf den nahenden Exodus der DDR -Landwirtschaft aufmerksam zu machen. Am 15. August, für den die Agrarverbände der DDR zwischen 14.00 und 16.00Uhr zu Protestaktionen auf dem Berliner Alexanderplatz, in allen Landeshauptstädten und Gemeinden aufgerufen haben, sind nach Meinung der Organisatoren solche drastischen Maßnahmen nicht auszuschließen. Was außer der Demonstration in Berlin und der Übergabe einer Petition an das Bundeslandwirtschaftsministerium in Bonn landesweit an diesem Tag passiert, so Bauernverbandssprecher Werner Wüst, liege in der Kompetenz der Bauern vor Ort. Die Verbände orientieren nicht auf sinnlose Produktenvernichtung, sondern empfehlen zum Beispiel, mit symbolischer Spende landwirtschaftlicher Produkte an Bedürftige, Kinder- und Altenheime um Sympathie bei der Bevölkerung zu werben.

Bereits Ende Juli waren auf einem Verbandstag in Meißen der Rücktritt von Minister Pollack gefordert und bei anhaltender Entscheidungslosigkeit der Regierung Aktionen angekündigt worden. Der Startschuß fiel nun am Mittwoch, nach dem am Tage zuvor der DDR-Landwirtschaftsminister und seine Staatssekretäre keine befriedigenden Antworten auf die Situationsanalyse der Agrarverbände geben konnte. „Die Lage in der Landwirtschaft der DDR spitzt sich zum Chaos zu“, schätzte Professor Klaus Böhme vom Genossenschaftsverband der DDR ein. Zwar konnte mit der Agrarunion zwischen DDR und EG ab 1. August Milchsee, Schweine- und Getreideberg etwas verringert werden, doch insgesamt kam der Absatz nur langsam oder überhaupt nicht in Bewegung. Die Verwendung der Kartoffelernte, so Prof. Böhme, sei offen. Bei niedrigen Preisen lohne es nicht, sie aus dem Boden zu holen. Zum sinkenden Verbrauch kommt hinzu, daß wegen Ertragsschwankungen in der DDR schon immer große Reserven angepflanzt worden waren - die Kartoffelanbaufläche pro Kopf der Bevölkerung ist doppelt so groß wie in der Bundesrepublik. Da die früher übliche Verfütterung zu kostspielig und die Erdknollen keine Exportfrucht sind, hängen bis zu 7Millionen Tonnen in der Luft. Ähnliche Probleme deuten sich für Getreide an, wenn zunehmen um dreiviertel billigere EG-Substitute das Vieh ernähren. Bei Lieferung an BRD-Abnehmer haben die Bauern aus Gründen der Konkurrenz und der pauschalen Einstufung ihrer Produkte in niedrige Qualitätskategorien Billigpreise zu akzeptieren. In Oranienburg kaufte eine westdeutsche Firma das Kilo lebendiges Schwein für 1,70 DM (2,60 DM gelten als Schmerz sprich Rentabilitätsgrenze), um das Fleisch hernach in die Sowjetunion zu exportieren. Der Staat honoriert das der „hilfsbereiten“ Firma mit 80 Pfennigen je Kilogramm. Von den 4,7 Milliarden DM, die der Staatshaushalt 1990 zur Förderung der Landwirtschaft bereithält, gelangen nur 2,2 Milliarden direkt in die landwirtschaftlichen Betriebe. 10Milliarden DM werden gebraucht, um den Preisverfall abzufangen. Ansonsten sei es um die Liquidität von zwei Dritteln der Landwirtschaftsbetriebe schlecht bestellt. Liquiditätskredite decken gerade die Gehaltskosten und führen nur zur kurzzeitiger Entspannung.

Irina Grabowski