Mentales Radio

 ■ „Radar der Psyche“ - Upton Sinclairs Untersuchungen über

Telepathie

Von Mathias Bröckers

Büchern über das Paranormale, über seltsame, die bekannten Naturgesetze überschreitende Phänomene haftet etwas Unseriöses an. Allem voran der Vorwurf der Sensationshascherei, dem Berichte über außerordentliche, übernatürliche Ereignisse zwangsläufig ausgesetzt sind, sowie der Verdacht, daß es sich dabei um Sinnestäuschungen, Fälschungen oder schlicht um Zufall handelt. Der Umstand, daß die Parapsychologie diesen Phänomenen mit solidem wissenschaftlichem Instrument zu Leibe gerückt und durchaus auf harte Fakten gestoßen ist, hat an den Vorurteilen gegenüber dem Übernatürlichen wenig geändert - und dies durchaus zu Recht. Denn die ernsthaften, seriösen Publikationen auf diesem Gebiet sind aus der okkulten und spiritistischen Bücherflut der letzten Jahre immer schwerer herauszufinden. Zwar steckt auch in den verschrobensten Offenbarungen und hinter den wohlfeilsten Geheimnissen oft noch irgendein echter Kern, doch was nützt das, wenn dank reichlich Hokuspokus die Glaubwürdigkeit längst dahin ist. Und Glaubwürdigkeit ist, wo es definitionsgemäß um übernatürliche, nicht für jedermann und auf normalem Wege nachvollziehbare Tatsachen geht, eine unverzichtbare Bedingung.

Ein in dieser Hinsicht ziemlich einmaliges Dokument ist jetzt in einer neuen Ausgabe herausgekommen - der Bericht von Upton Sinclair über die außergewöhnlichen telepathischen und hellseherischen Fähigkeiten seiner Frau Craig. Wer bisher mit dem Namen Upton Sinclair einen berühmten Romanautor und engagierten Sozialkritiker verband, hat durchaus recht. Dieser Upton Sinclair war aber auch einer der Pioniere der Telepathie-Forschung. Der außergewöhnlichen medialen Begabung seiner Frau Craig, die sich seit ihrer Kindheit bei zahlreichen Gelegenheiten gezeigt hatte, versuchte er in den zwanziger Jahren experimentell auf die Spur zu kommen. Nach einigen merkwürdigen telepathischen Erlebnissen mit einem Hyptnotiseur begann Mrs. Sinclair ihren Radar der Psyche gezielt einzusetzen: Sie ortete verzweifelt gesuchte Gegenstände, fand verloren Geglaubtes und begann eine Reihe von Übertragungsexperimenten mit ihrem Schwager Robert Irwin. Zu einer vereinbarten Zeit setzte sich dieser an seinem Schreibtisch im 70 Kilometer entfernten Pasadena, zeichnete einen beliebigen Gegenstand einen Stuhl oder eine Besteckgabel, aber auch Zahlen, kleine Hunde oder chinesische Mandarine - und konzentrierte sich anschließend 15 Minuten lang auf seine Zeichnung. Während dieser Zeit saß Mrs. Sinclair in ihrem Haus in Long Beach im Halbdunkel und versuchte die Zeichnung zu erkennen und nachzuzeichnen, die ihr Schwager gerade gemacht hatte. Die insgesamt 290 Experimente dieser Art, die in diesem Buch dokumentiert sind, brachten ein erstaunliches Ergebnis: Nur in 25 Prozent aller Fälle „empfing“ Mrs. Sinclair falsche oder überhaupt keine Bilder, bei allen anderen Versuchen wiesen ihre Zeichnungen frappante Ähnlichkeit mit denen ihres Schwagers auf; 65 der telepathisch empfangenen Zeichnungen, also 23 Prozent, waren absolut identisch. Für die Korrektheit der Experimente verbürgt sich nicht nur der Beobachter und Protokollant Upton Sinclair, dem als bodenständigem Skeptiker keinerlei Hang zum Okkulten nachgesagt werden kann. Die Echtheit der Übertragungen bestätigen auch zwei herausragende Wissenschaftler: William McDougall, den Nestor der amerikanischen Psychologie, unter dessen Aufsicht einige der Experimente stattfanden, und kein geringerer als Albert Einstein, der das Ehepaar Sinclair gut kannte. In einem Geleitwort zu diesem Buch betont der Physiker, daß die Zuverlässigkeit der Experimente nicht bezweifelt werden darf: „Die Ergebnisse der in diesem Buch sorgfältig und deutlich beschriebenenen telepathischen Experimente stehen sicher weit außerhalb desjenigen, was ein Naturforscher für denkbar hält. Andererseits ist es bei einem so gewissenhaften Beobachter und Schriftsteller wie Upton Sinclair ausgeschlossen, daß er eine bewußte Täuschung der Leserwelt anstrebt; seine bona fides und Zuverlässigkeit darf nicht bezweifelt werden. Wenn also etwa die mit großer Klarheit dargestellten Tatsachen nicht auf Telepathie, sondern auf unbewußten hypnotischen Einflüssen von Person zu Person beruhen sollten, so wäre auch dies von hohem psychologischen Interesse.“

Diese Stellungnahme ist als Bürgschaft nicht nur wegen des Namen Einsteins von Bedeutung, sondern auch, weil es eben dessen Relativitätstheorie war, die 20 Jahre zuvor die Vorstellung eines Äthers, eines Mediums zwischen Himmel und Erde, für nichtig erklärt hatte. In einem solchen nicht -materiellen, feinstofflichen Medium und seinen „ätherischen“ Übertragungsfähigkeiten nämlich hatte man bis dahin die einzig denkbare Erklärung für hellseherische und telepathische Phänomene gesehen. Wenn es diesen Äther nicht gab, wie dann konnte Mrs. Sinclair mit ihrem psychischen Radar Bilder und Gegenstände orten?

Upton Sinclair ist kein Naturwissenschaftler, der diese Fragen untersuchen könnte. Sein Buch gibt sich dennoch nicht mit der reinen Beschreibung der telepathischen Phänomene zufrieden. Sinclairs Frau, unter ihrem Mädchennamen Mary Craig Kimbrough selbst Autorin, beschreibt auch die Techniken, mit denen sie sich in den Bewußtseinszustand versetzt, der ihre paranormalen Erfahrungen ermöglichte. Sie betrachtete ihre hellseherischen Fähigkeiten nicht als etwas Außergewöhnliches, sondern als eine durchaus erlernbare Technik - nicht irgendwelche Geister- und Götterwesen geben Botschaften durch, sondern das eigene Unterbewußte fungiert als Radarstation, wenn es gelingt, diese Bewußtseinsebene in einem gleichzeitg voll konzentrierten und entspannten Geisteszustand „anzuzapfen“:

„Gleichzeitige Konzentration und Entspannung - das klingt paradox. Ich bin aber nicht sicher, ob dafür ein Widerspruch in der Natur des Geistes selbst verantwortlich ist, oder vielmehr wir, indem wir die Natur mißverstehen. Vielleicht verfügt jeder von uns über mehrere geistige Daseinsformen oder über mehr als ein Bewußtsein, so daß eines schlafen (völlig unbewußt sein) kann, während ein anderes die Situation überwacht... Auf jeden Fall besteht die Möglichkeit, sich gleichzeitig in einem bewußten und unbewußten Zustand zu befinden. Ich kann nur soviel sagen: Wenn ich diese Kunst ausübe, die ich gelernt habe, um mich auf etwas ganz Einfaches zu konzentrieren, tritt eine so erholsame, eine scheinbar so vollständige Entspannung ein, als befände ich mich in dem Zustand, den man als normalen Schlaf bezeichnet... Aber dieser Zustand unterscheidet sich völlig vom telepathischen, bei dem man gerade vermeiden muß einzuschlafen. Nachdem Sie geübt haben, sich auf eine Blume zu konzentrieren und das Einschlafen zu verhindern, werden Sie in der Lage sein, den merkwürdigen leeren Geisteszustand aufrechtzuerhalten, der einfach gegegeben sein muß, wenn sie erfolgreiche telepathische Experimente durchführen wollen... Lassen Sie Gedankenleere eintreten und behalten Sie sie bei. Denken Sie an nichts. Es werden Gedanken kommen. Drängen Sie sie zurück. Weigern Sie sich zu denken. Das Wichtigste ist, Geist und Körper in einen passiven Zustand zu überführen. Ist der Geist nicht passiv, registriert er Körpergefühle, ist der Körper nicht entspannt, so stören seine Gefühle die notwendige geistige Passivität.“

In diesem geistigen Leerzustand gab Craig Sinclair ihrem Unterbewußten den Befehl, die zu erratende Zeichnung zu visualisieren, um sofort wieder in den Zustand der Leere abzugleiten, alle Bilder aus dem Bewußtsein zu verbannen und auf die Konturen zu warten, die auf dem „grauen Tuch, das über den Geist ausgebreitet ist“, erscheinen, oft zuerst in Teilstücken und Fragmenten, dann immer deutlicher. Um nicht von „umherstreunenden“ Phantasiebildern getäuscht zu werden, wiederholte sie diesen Vorgang zwei- bis dreimal. Wenn sie sich sicher war, skizzierte sie das innerlich gesehene Bild auf Papier.

An den 155 erfolgreich „gesendeten“ und „empfangenen“ Zeichnungen in diesem Buch fallen nicht nur die exakt identischen Fälle, sondern vor allem Teilerfolge mit ihren beredten Mißverständnissen und intelligenten Fehlleistungen auf. An ihnen werden Umrisse einer Grammatik deutlich, nach der die Gestalt-Sprache telepathischer Kommunikation organisiert sein könnte. Doch weder das noch Upton Sinclairs emphatische Aufforderung an die Wissenschaft am Ende des Buchs, die Realität der Telepathie nicht zu ignorieren „Ich sage Ihnen und, weil es so wichtig ist, schreibe ich es in großen Buchstaben: ES GIBT TELEPATHIE“ - hat in den 60 Jahren seit dem ersten Erscheinen dieses Buches der PSI -Forschung über den Status einer belächelten Randwissenschaft herausgeholfen. Das Paranormale tummelt sich weiterhin in der Sensationspresse und auf esoterischen Spielwiesen, während die Intelligenz Großtheorien kommunikativen Handels erbrütet, die die Kompetenz kommunikativen Fühlens völlig ignorieren. Dabei müßte jeder Medientheoretiker - von allen Naturwissenschaftlern zu schweigen - von Dokumenten wie diesem geradezu enthusiasmiert sein. Denn was bedeutet es, wenn der kritische Realist Upton Sinclair mit seiner Behauptung recht hat?

Wir Menschen sind seit Urzeiten zu einem globalen Dorf verkabelt - und müssen nur noch lernen, den telepathischen Stecker einzustecken.

Upton Sinclair: Radar der Psyche - Das PSI-Geschehen der Gedankenübertragung und der Gedankenbeeinflussung, Geleitwort: Albert Einstein. Nachwort: Prof. Hans Bender, Econ TB, 290 S., 14,80 DM