Wattenscheid statt Kamerun

■ Aus den tiefen Räumen des Weltfußballs in die Abseitsfalle des Bundesliga-Alltags

PRESS-SCHLAG

Die Fußball-WM, die Milliarden von Menschen vier Wochen lang in Atem hielt, ist fast vergessen, die Namen der Weltmeister sind uns im Gegensatz zu denen von 1954, die unauslöschlich in den Köpfen haften, bereits wieder völlig entfallen. Wer weiß schon noch, ob Bein, Häßler oder Littbarski im Mittelfeld spielten? Vielleicht hat ja sogar Thon...? Oder Möller...? Na egal, eines ist sicher, der graue Alltag hat uns wieder: Hertha BSC statt Argentinien, Wattenscheid statt Kamerun, Leverkusen statt Italien, Bayern statt BRD: die Bundesliga hat begonnen.

Vor vier Jahren hatte die Weltmeisterschaft von Mexiko einen durchaus positiven Effekt auf die Bundesliga. Zahlreiche attraktive Spiele weckten lange entschlummertes Interesse am Fußballsport. Die Zuschauer kamen wesentlich zahlreicher als zuvor, und auch die Kicker schienen sich das ein oder andere abgeschaut zu haben und waren bemüht, wenigstens einen Abglanz des Tatendurstes von Mexiko auf hiesigen Rasenflächen leuchten zu lassen. Von Italia '90, dessen eher mediokrem Niveau hierzulande der Titelgewinn des DFB-Teams entgegenwirkt, wird nun ein ähnlicher Effekt erwartet.

Während die Ligen Italiens, Frankreichs und Spaniens jedoch kräftig in den verschiedenen WM-Aufgeboten wilderten, vertraut die Bundesliga vorzugsweise auf Hausmannskost. Nur Leverkusen konnte nicht an sich halten und schnappte sich den Rumänen Lupescu. Ansonsten hat keine der - allerdings äußerst spärlichen - Entdeckungen von Italien den Weg in den bundesdeutschen Fußball gefunden, der teuerste Auslandseinkauf war sozusagen ein Heimkehrer: der Däne Flemming Povlsen vertauschte das Hemd des PSV Eindhoven mit dem von Borussia Dortmund. Die spektakulärsten Transfers waren, sieht man von der Rückkehr des verlorenen Sohnes Klaus Allofs (aus Bordeaux nach Bremen) ab, streng inländisch - Andy Möller von Dortmund nach Frankfurt, Franco Foda von Kaiserslautern nach Leverkusen, Brian Laudrup von Uerdingen und Michael Sternkopf aus Karlsruhe zu den Münchner Bayern - oder aber treu doitsch-doitsch: Matthias Sammer und Ulf Kirsten von Dresden nach Stuttgart bzw. Leverkusen; Thomas Doll, nunmehr bester Stürmer der Bundesliga, und Frank Rohde vom FC Berlin zum Hamburger SV.

Favorit fast aller Auguren ist wie gehabt Bayern München, woran auch die Pokalpleite in Weinheim nichts ändert. Vor allem im Angriff haben Uli Hoeneß und Jupp Heynckes mit ihren Neuerwerbungen für ein Gewimmel gesorgt, das ans Fegefeuer am Jüngsten Tag erinnert. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Uli Hoeneß auf die Idee kommen wird, seine Ersatzbank komplett in die DDR auszuleihen, wo sie dann Meister werden kann. Möglicherweise beantragt er aber auch - nun, wo seine Lieblingsidee einer Reduzierung der Liga erstmal ins Gegenteil verkehrt wurde - eine Aufstockung von Fußballmannschaften auf 15 Akteure.

Als Konkurrenten um den Titel kann man Bayer Leverkusen getrost vergessen. Ein Team, das von der Zwangsidee besessen ist, im Grunde gegen den Abstieg zu spielen, jeden gewonnenen Auswärtspunkt wie ein Geschenk des Himmels feiert und in kollektive Wutausbrüche verfällt, wenn irgendwo in ihrer Nähe das Wort „Meisterschaft“ ausgesprochen wird, steht von vornherein moralisch auf verlorenem Posten. Aber was soll man auch von einer Mannschaft erwarten, die genau weiß, daß es außer ein paar Herren im Bayer-Vorstand keine Sau interessiert, ob sie nun Meister wird oder absteigt.

Große Dinge von sich erwartet wieder mal der VfB Stuttgart. Aber solange die Schwaben immer nur ihre Trainer feuern und nie ihren Präsidenten, wird nicht viel dabei rauskommen. Jetzt hat Mayer-Vorfelder beschlossen, sich die Erfolgssträhne der Hoeneß-Sippe zunutze zu machen. Aber ob der kluge, einst so kunstsinnige Dieter Hoeneß als Manager ebensoviel Fortune hat wie sein gewiefter, geschäftssinniger Bruder aus München, darf getrost bezweifelt werden. Der Mann ist zu gut. Aber vielleicht gibt ja Spätzle-Garrincha Guido Buchwald ein wenig von seiner frisch entdeckten superben Feintechnik an Spielkameraden wie Gaudino, Sammer, Allgöwer ab und bringt dem Rest der Truppe seinen chaplinesken doppelten Slapstick-Übersteiger bei. Dann könnte es möglicherweise doch noch klappen.

Bleiben neben den ewigen Geheimfavoriten (Psst!) Dortmund und Bremen die aufgefrischten Fortunen aus Düsseldorf, deren Trainer Ristic allerdings spätestens nach der Hinrunde Berti Vogts als Bundestrainer ablösen wird, und die Frankfurter Eintracht. Uwe Bein, der sich eine Zeitlang schon als waschechter Florentiner fühlte, bis ihm klargemacht wurde, daß sein Name nur dazu gedient hatte, den Preis des Brasilianers Valdo von Benfica Lissabon zu drücken, hat mit dem Senegalesen Yeboah eine neue torträchtige Anspielstation, und er muß nur aufpassen, daß ihm Andy Möller nicht ständig auf die Füße tritt. Für die Deckungsarbeit haben die Hessen Karlheinz Körbel, was eigentlich reichen sollte, denn wie sagt Johan Cruyff: „Wenn der Ball immer in der Hälfte des Gegners ist, kannst du kein Tor fangen.“

Die Absteiger? Nürnberg und Uerdingen, wer sonst?

Ach übrigens: der HSV wird Meister!

Matti Lieske