Landreform in Ungarn: Prozeß ohne Ende?

■ Die Reprivatisierung des Bodens droht an Kapitalmangel, der Erbschaftssteuer und zu kleinen Betriebsgrößen zu scheitern

Von Tibor Fenyi

Budapest - Ein heute 67jähriger ungarischer Bauer, der 1951 auf Bitten des benachbarten Staatsgutes vom berüchtigten stalinistischen Geheimdienst „VH“ von seinem Grund und Boden verjagt worden war, hat eigenmächtig eine „Landbesetzung“ vorgenommen. Er sitzt samt Familie in einem Zelt an der Stelle seines längst abgerissenen Hofes inmitten eines Feldes und verlangt, das vor 39 Jahren enteignete Land müsse in bebautem Zustand rückerstattet werden; der Hof sei wieder aufzubauen; die landwirtschaftlichen Geräte will er bezahlt bekommen, „sonst gehe ich vor Gericht“.

Der Fall ist direkte Folge der geplanten ungarischen Landreform. Denn die Budapester Dreiparteienkoalition aus Ungarischem Demokratischem Form, Kleinlandwirten und Christdemokraten hat sich auf einen Gesetzentwurf geeinigt, der die weitgehende Wiederherstellung der Bodenbesitzverhältnisse vom 31.Dezember 1947 vorsieht. Wer Land im Verlauf der gewaltsamen Kollektivierung oder durch andere gesetzwidrige Methoden verloren hatte, hat Anspruch auf maximal hundert Hektar des einstigen Besitzes, eventuell eines gleichwertigen anderen; dies gilt auch für Erben, die den Boden ebenfalls kostenlos beanspruchen können allerdings nach Entrichtung der Erbschaftssteuer. Ein Novum stellt das Angebot an Angestellte von staatlichen oder Genossenschaften dar, 1,5 Hektar zu kaufen.

Bis zum 15. August wird die Angelegenheit die Regierungsarbeit schwer belasten. Diese Frist ist nämlich dem Justizministerium zur Vorlage eines fertigen Gesetzentwurfs gestellt worden. Betroffen sind zumindest einige andere Ressorts, weil seit 1947 auf den ehemals zwangskollektivierten Böden nicht nur Staatsgüter oder LPGs entstanden sind, sondern unter anderem auch Straßen, Fabriken und Wohnbauten.

Die Oppositionsparteien, aber auch viele Angehörige der Koalitionsfraktionen halten eine Rückkehr zu den Grundbüchern von 1947 für undurchführbar. Bisher hat der Streit keine praktische Bedeutung, denn seit Juni herrscht ein Verbot, Staatsland zu verkaufen. Mit dieser Maßnahme soll verhindert werden, daß aus Managern von Agrarbetrieben zu Spottpreisen Landbesitzer werden.

Gegen diese Art der „Privatisierung“ waren die meisten Oppositionsparteien, aber naturgemäß auch die Kleinlandwirte Sturm gelaufen.Deren Ziel ist es laut Kleinlandwirt Geza Zsiros, „den Boden jenen zukommen zu lassen, die ihn bearbeiten“. Genau dies ist der Punkt, der von den Oppositionsparteien in Frage gestellt wird. Sie glauben, daß die damaligen Besitzer entweder nicht mehr leben oder so alt sind, daß sie zum Bebauen des Landes außerstande sind. Auch fehlt es an den notwendigen Agrarmaschinen beziehungsweise an Kapital für deren Import.

Auch die 1,5-Hektar-Bestimmung für LPG-Beschäftigte wird kritisiert: Die Landgröße ist nach allen modernen Agrarerkenntnissen zu gering, um eine Familienwirtschaft aufzubauen. Bei den Kleinstparzellen geht es denn auch um etwas anderes als Rentabilität. Hierzu der Kleinlandwirtechef und Agrarminister Ferenc Joszef Nagy in einem Interview mit der Zeitung 'Heti vilaggazdasag‘ („Weltwirtschaftswoche“): „Bis zum Jahresende wird es in Ungarn vielleicht schon 100.000 Arbeitslose geben... Wovon werden diese Leute leben? Meiner Meinung nach nur von der Landwirtschaft, wo sie ein paar Hektar Land pachten können. Diesen Familien ist es am wichtigsten, ihre Kinder zu ernähren, Essen zu haben.“

Ein weiteres Problem entsteht mit den Erben der einstigen Landeigner, die heute meist in Städten leben und keinerlei landwirtschaftliche Kenntnisse haben. Sie werden weder die Erbschaftssteuer noch die Betriebsmittel aus Ersparnissen aufbringen können - bleibt nur die Kreditaufnahme mit Zinsen bis zu 30 Prozent.

Pal Juhasz, Agrarsprecher des oppositionellen Bundes freier Demokraten, sieht die Gefahr, daß wieder Großgrundbesitz entsteht, wobei breite Landstriche „nur zu Spekulationszwecken beansprucht werden und dann unbebaut bleiben“.Viele LPG-Vorsitzende haben auf eigene Faust begonnen, die oft weit entfernt lebenden Erben des früheren Bodenbesitzers aufzusuchen und sie zu überreden, ihren Anspruch anzumelden. Die Agrarmanager rechnen offensichtlich damit, auf diese Weise die eigene Zukunft zu sichern: Der uninformierte künftige Besitzer werde ihm alle Entscheidungen überlassen.

Während die Opposition kritisiert, hat auf dem Land die Registrierung der Ansprüche begonnen. Die Tatsache, daß in manchen der 19 Komitate nur zehn bis zwanzig Anmeldungen eingegangen sind, führt Geza Zsiros auf die Unkenntnis des Gesetzentwurfs zurück. „Warten Sie nur ab, was da nach dem 20.August los sein wird.“