: Freundschaften in Chamberi
■ Bei dem Versuch der Aufklärung des Mords an dem Abgeordneten Josu Muguruza werden seltsame Geschäfte in einem Madrider Polizeikommissariat offenbar / Rechtsradikale, Polizisten und Drogenhändler spielten sich dabei in die Hände
Aus Madrid Antje Bauer
Als Yolanda R. an jenem Abend gemeinsam mit ihrer Patentante nach Hause kam, wurde sie im Hausflur bereits erwartet. Die beiden Männer nahmen ihnen ohne Umschweife ihr Geld und den gesamten Schmuck ab und machten sich mit einer Beute im Wert von 15.000 Mark davon. Es wäre nur ein weiterer der zahlreichen Überfälle gewesen, die in Madrid täglich begangen, aber nie aufgeklärt werden, wenn Yolanda R. den beiden Tätern nicht in den darauffolgenden Wochen mehrmals in ihrem Stadtviertel begegnet wäre.
Von der Dreistigkeit empört, suchte sie die Polizei auf, beschrieb die Täter im einzelnen und teilte mit, wo sie ihnen soeben begegnet war. Die wachhabenden Polizisten versprachen, sich darum zu kümmern, doch wie groß war das Erstaunen, als sie kurz danach zwar einen Streifenwagen vor ihrer Haustür antraf - jedoch nicht dort, wo die Missetäter anzutreffen gewesen wären. Als sie einem ihr bekannten Polizisten, der im selben Stadtteil Dienst tat, ihr Leid über die Untätigkeit seiner Kollegen klagte, erklärte dieser ungerührt, sie würden sowohl Namen wie Anschrift der beiden Diebe kennen. Im übrigen sei der Schmuck inzwischen sicher längst in der Calle Fuencarral.
Den tieferen Sinn dieser Ausführung erfuhr Yolanda R. erst drei Jahre später. Ende letzten Monats wurden in Madrid sieben Personen unter dem Verdacht verhaftet, an dem Anschlag auf Abgeordnete der ETA-nahen baskischen Linkskoalition „Herri Batasuna“ (HB) im November 1989 beteiligt gewesen zu sein, der einen Toten und einen Schwerverletzten gefordert hatte. Zwei Schützen machte die Polizei aus: Ricardo Saenz de Ynestrillas, Sohn des gleichnamigen Militärs, den die ETA 1986 ermordet hatte, und Angel Duce Hernandez, Polizist im Madrider Nobelstadtteil Chamberi, in dem Yolanda R. wohnt. Als mutmaßlicher Komplize bei diesem Anschlag wanderte der Juwelier Antonio Lopez in den Knast, einige Tage später wurde Jose Hernandez Bartolome, ein weiterer Polizist aus dem Polizeikommissariat Chamberi, festgenommen. Im Laufe der Vernehmungen kam neben der Aufklärung des Attentats auf die beiden HB -Abgeordneten - ein Netz zum Vorschein das im Kommissariat Chamberi gesponnen worden war und vermutlich Yolanda R. um die Rückerstattung des gestohlenen Schmucks gebracht hat.
Ricardo Saenz de Ynestrillas ist seit seiner frühesten Jugend militanter Rechtsradikaler. Vor einigen Jahren lernte er den Polizisten Angel Duce kennen, der seine Ansichten teilte und begierig darauf war, in Aktion zu treten. Gemeinsam mit einigen anderen Franco-Anhängern, die ebenfalls vor kurzem festgenommen wurden, soll er seit 1987 mehrere Anschläge begangen haben. Angel Duce seinerseits lernt eines Tages den Juwelier Antonio Lopez kennen, der sich häufig im Kommissariat aufhält und mit mehreren Polizisten freundschaftliche Kontakte unterhält.
Lopez ist nach Polizeiinformationen ein mittelgroßer Drogenhändler, dem es gelungen ist, mit seinen Geschäften ein Haus in Madrid sowie ein Appartement in Andorra zu erwerben. Bei häufigeren Reisen dorthin begleitet ihn gelegentlich der Polizist Angel Duce. Nach Informationen der Tageszeitung 'El Mundo‘ hat der Juwelier in Andorra interessante Freunde: zwei Franzosen, die von der französischen Justiz angeklagt worden waren, als Mitglieder der Terrorgruppe „GAL“ Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre blutige Anschläge auf Basken im französischen Baskenland verübt zu haben. Die Verantwortung des spanischen Staats als ehemaligem Auftraggeber der „GAL“ ist eines der schwärzesten Kapitel in Spaniens Geschichte nach Franco - und eines, das die Regierung weiterhin nach Kräften verdunkeln will.
Eine Hand wäscht die andere. Angel Duce brachte für den Juwelier Drogen von Galizien nach Madrid - ein Polizist wird nicht so leicht kontrolliert - und erhielt im Gegenzug kleinere Mengen Kokain, die seine Gruppe weiterverkaufte, um ihre Aktivitäten zu finanzieren. Auch für Waffenhandel war sich der Juwelier nicht zu fein: Vom Polizisten Jose Hernandez Bartolome, der im Kommissariat von Chamberi das Waffenarsenal überwacht, kaufte er einen Revolver, den dieser kurzerhand dem Waffenarsenal entnommen hatte. Außerdem verscherbelte Hernandez Bartolome Sprengstoff aus dem Arsenal, das Duce dann zu Bomben für die Anschläge weiterverarbeitete. Der Juwelier seinerseits verkaufte vermutlich die Waffen an Duce, die später zum Anschlag auf die HB-Abgeordneten dienten.
Wahrscheinlich, wenn auch bislang nicht bewiesen, ist, daß sich die Zusammenarbeit zwischen der Polizei von Chamberi und dem Juwelier Antonio Lopez auch auf die Aufteilung von Beutestücken erstreckt hat: Vor wenigen Jahren erst wurde in Madrid eine Polizeimafia entdeckt, die sich Beutestücke aus Diebstählen teilte und auch vor gelegentlichen tödlichen Schußwechseln mit den Delinquenten nicht zurückschreckte, weil sie dann die Beute nicht teilen mußte. Wahrscheinlicher Bestimmungsort der Beute: das Geschäft des Juweliers Antonio Lopez in der Calle Fuencarral. Wie die beraubte Yolanda R. bereits vor drei Jahren erfahren hatte.
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