Wasserköpfe im Land

■ Beobachtungen am Rande der DDR-Volkskammer

Berlin (taz) - Schlapp und farblos liegt die Keule des Broilers in der beigen Tunke. Am Rand des Tellers winden sich drei Salatblätter und fünf Streifen Rotkohl unter einem Tomatenviertel. Daneben harren zwei gewölbte Brotdreiecke, deren Ecken sich in der „Pausenversorgung“ der Volkskammer dem Hungrigen entgegen recken. Der Mann blickt vom Teller auf und seufzt: „Sinnfälliger läßt sich der Zustand des Hauses nicht beschreiben“. Danach fällt er wieder in tiefes Schweigen und läßt den Broiler restlos erkalten. Offenbar liegt die Debatte schwer im Magen. So ist es am Mittwoch wohl vielen ergangen.

Manche wollten über nichts und schon gar nicht über PDS -Anträge reden. Information des Parlaments über den Stand der Verhandlungen zum Einigungsvertrag? Abgelehnt. Präsidentin Bergmann-Pohl schnippisch: „Herr Gysi, der nächste bitte.“ Unter anderem geht es um Aufhebung der Wehrpflicht und einen Volksentscheid über die Integration des DDR-Territoriums in die Nato. Angesprochen sind Probleme und Forderungen, die Bündnis 90/Grüne und Teile der SPD einst auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Gleichwohl springt Konrad Weiß vom Bündnis 90 ans Mikro: „Frau Präsidentin, bitte veranlassen Sie, daß der Wahlkampf der PDS abgebrochen wird.“ Bleich verfolgt der ins Abseits getretene Außenminister Markus Meckel das Tohuwabohu. In der Abstimmung will der SPD-Politiker sich enthalten. In Meckels Gesicht blitzt die Erinnerung auf: Er hatte lange Zeit gegen die Nato-Mitgliedschaft plädiert. Der Antrag kommt nicht auf die Tagesordnung.

Sie wird in der Tat vom Wahlkampf beherrscht. An dessen Ende wird, so verkündet DSU-Chef Professor Walther, eines feststehen: „Deutschland erhält wieder ein Parlament und einen Kanzler aller Deutschen, was Sie von der PDS uns vierzig Jahre vorenthalten haben.“ Da schüttelt sich gar Ex -Parteifreund Ebeling vor Lachen - stundenlang saß er wie ein Scheintoter auf der Regierungsbank. Walther ist von der rhetorischen Anstrengung so erschöpft, daß er wenig später namentliche Abstimmung über einen DSU-Antrag verlangt, der überhaupt nicht mehr existiert.

Über alle Maßen verausgabt hat sich auch der langjährige CDU-Blockflötist Minister Reichenbach. Das wirtschaftliche Desaster erklärt der selbsternannte „DDR-Seiters“ so: „Die Lähmung ist generell und menschlich. Wir müssen die Wasserköpfe beseitigen.“ Ein Abgeordneter des Bündnis 90: „Im Bereich des Wirtschaftsministeriums arbeiten 12.000 Personen. Stimmen Sie mir zu, daß dies ein besonders klassisches Beispiel für Wasserköpfe ist?“ Reichenbach: „Ja, aber es geht nicht um Wasserköpfe in der Regierung, sondern Wasserköpfe grundsätzlich und im ganzen Land.“ Wen wundert's, daß der Hungrige seinen Broiler stehen ließ?

Petra Bornhöft