In der Volkskammer nachts um halb drei...

■ ...ob du 'n Broiler hast oder auch zwei / In nächtlicher Sitzung fehlte überraschend die notwendige Mehrheit für den Wahlrechtsentwurf / Harter Schlagabtausch zwischen den Regierungsparteien

Von Mathias Geis

Berlin (taz) - Kurz nach zwei Uhr gestern Morgen hatte die Volkskammer ihr Ei gelegt. Der zwischen den Bonner und Ostberliner Parteien nach wochenlangem Schlagabtausch ausgeheckte Wahlrechtsentwurf fand, nach vielstündiger Debatte, nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit des Hauses.

Doch nicht etwa die fulminant-präzise Kritik des Gesetzentwurfs durch Parlamentsvizepräsident Ullmann, sondern all zu menschliche Bedürfnisse der Neuparlamentarier waren für das Scheitern der Vorlage verantwortlich. Weil einige lieber im Urlaub geblieben waren, andere aber im Laufe der elfstündigen Sondersitzung das Weite gesucht hatten, fehlten der Wahlrechtskoalition aus CDU, SPD, DSU und Liberalen am Ende vier Abgeordnete zur erforderlichen Mehrheit. Zudem hatten noch fünf SPDler unter Führung von Ex -Parteichef Ibrahim Böhme gegen das Gesetz gestimmt, um so gegen die Tricks von SPD-Parlamentsvize Höppner zu protestieren. Der hatte, als sich das Mißgeschick abzeichnete, noch schnell eine „Beratungspause“ durchgesetzt, um das fehlende Stimmvieh aus den Betten oder sonst woher zu holen. Da zu keiner Zeit die Beschlußfähigkeit des Plenums in Frage stand, lief die Aktion Höppners einzig auf die - letztlich mißglückte Manipulation des Abstimmungsergebnisses hinaus.

Zur Genugtuung der Opposition dürfte der peinliche Vorgang selbst dann beigetragen haben, wenn er nicht mehr als eine Verzögerung im Gesetzgebungsverfahren bedeutet. Denn an der grundsätzlichen Zustimmung der Regierungsfraktionen zum Wahlgesetz konnten auch die Debattenbeiträge von PDS-Chef Gysi und Parlamentsvize Ullmann nichts ändern. Denn dessen Einwand, es handele sich dabei letztlich nur um eine „Ausdehnung des Bundeswahlrechtes“, dürfte für die erdrückende Mehrheit ebenso wenig ein Gegenargument sein, wie auch sein Verdikt, die vorgesehenen Listenverbindungen seien nur ein „Verfahren zur Zerstörung der Bürgerbewegungen“.

Gregor Gysi räumte ein, das angestrebte Wahlverfahren sei zweifellos demokratischer als das in den letzten vierzig Jahren praktizierte; doch diese Tatsache wollte Gysi keinesfalls als hinreichende Bedingung für ein demokratisches Wahlgesetz verstanden wissen. Die Fünfprozentklausel, so Gysi, behindere die Entstehung neuer Parteien, grenze Wähler aus und manipuliere des Wahlverhalten. Letztlich sei das Wahlrecht auf zwei Parteien zugeschnitten worden: Auf die DSU, die „hinten angeschnallt bei der CSU“ ins Parlament gebracht werde und auf die PDS, die draußen bleiben solle.“

DSU-Chef Walter hatte eine eher undankbare Aufgabe, unmittelbar nach Gysi in die Bütt steigen zu müssen. Schon sein Einstieg - „Deutschland erhält wieder einen Kanzler“ stürzte das Plenum in schallendes Gelächter. Eine Zwischenfrage, was denn der Sinn einer Sperrklausel sei, die mit dem „Huckepackverfahren“ dann wieder außer Kraft gesetzt werde, beantwortete Walther nach bestem Wissen und Gewissen: „Anders wäre kein Konsens gefunden worden.“ Walther lieferte damit noch einmal den Hinweis, daß die Interessen der Großparteien beim Wahlrechtsentwurf nicht von demokratischen Prinzipien bestimmt gewesen waren.

Doch vom Parteienkonsens beim Wahlrechtsschacher, der durch den Abstimmungs-faux-pas am Ende doch noch seinen verdient peinlichen Akzent erhielt, war bei der vorangegangenen Debatte um Wahltermin und Beitritt nichts zu spüren. Zwar erhielt der CDU-Antrag, die Verfassungsorgane der Bundesregierung sollten den Beitritt der DDR und gesamtdeutsche Wahlen für den 14. Oktober ermöglichen, eine Mehrheit. Doch eine Entscheidung für diese Version bedeutet der Abstimmungserfolg nicht. Er hat nur appellativen Charakter und soll den Versuch der Bundesregierung stützen, die SPD doch noch zum Einlenken in der Wahlterminfrage zu bewegen.

Eher ungeschickt flankiert wurde dieser Versuch durch den Auftritt von DDR-Chefunterhändler und CDU -Fraktionsvorsitzenden Günter Krause, der schon nach wenigen Minuten die SPD-Parlamentarier aus dem Saal trieb. Krauses Frontalangriffe gegen die SPD-Minister Hildebrandt und Romberg wertete SPD-Chef Thierse am Rande der Sitzung als Versuch, die SPD aus der Regierung zu treiben - der SPD-Chef nannte Krause zudem einen „unerzogenen Lümmel“. Krause hatte SPD-Finanzminister Romberg vorgeworfen, mit seinen Nachforderungen zum Haushalt die instabile Situation weiter zu verschärfen. Jetzt gelte es nicht, wie Sozialministerin Hildebrandt ständig neue Arbeitslosenzahlen zu prognostizieren, sondern „die gewaltigen Möglichkeiten der Marktwirtschaft zu nutzen“.

Solchen Appellen setzte die kritisierte SPD-Ministerin erneut ihre Zahlen entgegen: Neunzig Prozent der 846.000 derzeitigen KurzarbeiterInnen seien praktisch ohne Arbeit. Zusammen mit den bereits in der Statistik geführten Arbeitslosen bedeute das schon jetzt faktisch eine Rate von über zehn Prozent.

Wer Verhältnisse wie in der BRD erwartet hätte, konterte Ministerpräsident, „der unterliegt einer Selbsttäuschung“. Daß die Währungsunionisten mit dieser Selbsttäuschung immerhin die Wahlen gewonnen haben, erwähnte de Maiziere nicht. Mehr als die Aufmunterung an die BürgerInnen, die Lage sei „ernst, aber nicht hoffnungslos“, hatte de Maiziere in dieser Nacht nicht zu bieten. Angesichts solch wolkiger Perspektiven hatte die Opposition recht leichtes Spiel, das Ansinnen auf schnelle Wahlen abzublocken. Die DDR drohe, so die Bündnis-90-Abgeordnete Birthler, „dumpf aufzuschlagen“. Deshalb dürften beide deutsche Regierungen jetzt gerade nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden.