Wer das Asylrecht ändert, schafft es ab

■ Ein Gesetzesvorbehalt im Artikel 16 würde dem Grundgedanken der Verfassung widersprechen

„Durch Bundesgesetz können die Voraussetzungen geregelt werden, unter denen die Bundesregierung durch eine Rechtsverordnung Staaten benennen kann, in denen nach allgemeiner Überzeugung keine politische Verfolgung stattfindet. Die Rechtsverordnung bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.„

Diese Klausel, genannt „Gesetzesvorbehalt“, möchte der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine dem Artikel 16 des Grundgesetzes anhängen, der bestimmt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Setzt er sich damit in seiner Partei durch, dann wird Wirklichkeit, was Unionspolitiker seit langem fordern: mit der hierfür notwendigen Zweidrittelmehrheit schränkt der Bundestag das Grundrecht auf Asyl massiv ein.

Eine Änderung des Artikels 16 wird in Kreisen der CDU und CSU seit langem für „unbedingt nötig“ gehalten - und für „rechtlich möglich“. Doch die Politiker lügen. Denn das Grundrecht auf Asyl selbst steht einer Änderung, wie sie Lafontaine und die Union planen, entgegen. Artikel 16 schreibt nämlich ein sogenanntes Individualgrundrecht fest. Bei jedem Asylbewerber kann der Fall anders liegen. Jede Asylbewerberin und jeder Asylbewerber hat darum den Anspruch darauf, daß der deutsche Staat seinen Fall prüft. Dies ist die Idee des Artikels 16. Schreibt dieser Artikel 16 demnächst selbst fest, daß Angehörigen bestimmter Staaten pauschal der Weg vors Gericht versperrt werden kann, so hebelt die Verfassungsbestimmung ihren eigenen Grundgedanken aus.

Jeder Staat hält sich „zur Selbstverteidigung“ die Möglichkeit politischer Verfolgung offen. Davon gehen die Karlsruher Bundesverfassungsrichter aus, wie aus einem jüngst gefällten Urteil über das Asylrecht eines jungen Türken hervorgeht. Mißt man die Pläne des Oskar Lafontaine daran - fallen sie verfassungsrechtlich durch. Gibt es faktisch keinen Staat, der aus Prinzip von politischer Verfolgung absieht, so kann nicht rechtlich das Gegenteil festgeschrieben werden.

„Nur den Artikel 16 zu ändern, bringt gar nichts.“ Dies hielt jüngst Wilfried Penner, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dem Vorstoß seines Kanzlerkandidaten in Sachen Asylrecht entgegen. In der Tat: Wollen Lafontaine und Teile der CDU/CSU das individuelle Recht jedes Asylbewerbers auf Prüfung seines Antrags aus der Verfassung kippen, so müssen sie auch Artikel 19 des Grundgesetzes aus dem Weg räumen. „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen“, bestimmt der in seinem vierten Abschnitt. Die Garantie eines Rechtsschutzes im Rücken, käme etwa ein Jugoslawe, der an der deutschen Grenze abgewiesen worden ist, doch noch zu einem Verfahren. Gelänge es ihm nämlich, deutsches Gebiet zu erreichen, so stünde ihm der Weg zum Gericht offen. Dort könnte er etwa behaupten, er sei in seinem Bleiberecht verletzt worden. Der Richter müßte auf jeden Fall irgendeine Entscheidung treffen - unabhängig von den Erfolgschancen des Klägers.

Die Protagonisten einer Änderung des Artikels 16 beunruhigen solche Aussichten kaum. „Natürlich werden wir uns des Artikels 19 annehmen. Der ist doch nicht unabänderlich.“ Das kündigt etwa ein Fachmann aus der CDU an. „Ein Rechtsstaat darf niemandem die Rechtsschutzgarantie entziehen. Tut er es doch, so ist dies verfassungswidrig.“ Diesen zu erwartenden Protest liberaler Juristen könnten sich Lafontaine und die Union gelassen anhören. Schon einmal hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, daß der Staat zuweilen unkontrolliert von den Gerichten agieren darf: Trotz Artikel 10 der Verfassung, der das Brief -, Post- und Fernmeldegeheimnis festhält, ist denjenigen Bürgern, deren Telefone der Staat „zum Schutze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ abhört oder in deren Briefen er herumschnüffelt, nach Ansicht der obersten Richter der Republik der Rechtsweg verschlossen.

„Nur eine Grundgesetzänderung kann den Zustrom von Asylbewerbern bremsen.“ Dies behauptete jüngst Hermann Fellner, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Innenausschuß des Bundestages und innenpolitischer Sprecher der CSU -Landesgruppe. Wenige Tage zuvor hatte Oskar Lafontaine, Kanzlerkandidat und stellvertretender Vorsitzender der SPD, befunden, eine Änderung des Grundgesetzes sei „leider“ nötig. Doch wissen sie beide, daß ein beschnittener Artikel 16 die Zahlen der AsylbewerberInnen nicht senken würde: schon heute nutzen die Behörden alle Möglichkeiten des Asylverfahrensrechtes, um sich so vieler Flüchtlinge wie nur möglich zu entledigen. Fellner und Lafontaine wissen aber auch, wie trefflich sich im Wahlkampf mit der Kampagne „Grundgesetzänderung jetzt“ Stimmung gegen Fremde und für die eigene Partei machen läßt. Und beide Politiker wissen schließlich, was es für die Zukunft bedeutet, wenn man dem Artikel 16 bald einen Gesetzesvorbehalt verpaßt: Zwei Drittel der Mitglieder des Bundesrates dürften per Rechtsverordnung darüber bestimmen, wer politisches Asyl bekommt und wer nicht. Ihre Meinung würde sich wohl laufend ändern - je nach Gemütslage der Nation.

Ferdos Forudastan