„Das Schlimme ist das Warten, Tag für Tag“

■ Albanische Flüchtlinge leben jetzt im Rot-Kreuz-Heim Neukölln / Fast alle wollen nach Amerika, doch kaum einer wird den Sprung schaffen / Der Status der Botschaftsflüchtlinge ist noch immer ungeklärt / Das Warten wird zur Tortur

Neukölln. Freundlich lächelnd räumt der etwa dreißigjährige Mann seine Sachen von der Liege und bedeutet dem Besucher, Platz zu nehmen. Doch kaum hat der Dolmetscher den Grund des Besuches erklärt, ändert sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Wild gestikulierend und mit sich überschlagender Stimme redet, ja, schreit er auf den Eindringling ein, wühlt in einem Schrank herum und holt eine Zeitung hervor - dort groß abgebildet: er, bei der Ankunft in Berlin. Der Dolmetscher übersetzt nicht mehr - er erklärt: „Er will nicht in die Zeitung. Als dieses Foto erschien, hatte man bei ihm zu Hause seine Eltern abgeholt, verhaftet, verhört. Er will nicht, er hat Angst.“

Abgespielt hat sich diese Szene im DRK-Flüchtlingsheim Thiemannsstraße. Dort haben die 56 albanischen Botschaftsflüchtlinge in Berlin ihre vorläufige Unterkunft gefunden. Der Leiter der Abteilung Flüchtlingshilfe beim Deutschen Roten Kreuz Berlin, Hoffmann, zur taz: „Fast alle wollen nach Amerika oder Kanada weiterreisen. Aber das ist natürlich illusorisch. Von den 56 hat vielleicht einer eine Chance, in den USA Aufnahme zu finden, weil er dort tatsächlich Verwandte hat, die sich um ihn kümmern würden.“ Auch sei der Status der Flüchtlinge noch völlig ungeklärt. Weder hätten sie selbst bisher einen Asylantrag gestellt noch konnte man sich bisher dazu durchringen, die Albaner als „Kontingent-Flüchtlinge“ anzuerkennen. Das könne nicht hier, sondern müsse in Bonn geschehen. Da die Albaner nicht als anerkannte Asylbewerber gelten, erhalten sie weder Sozialhilfe noch eine deutsche Sprachausbildung. Lediglich ein „Tagessatz“ von 4,55 DM Taschengeld steht ihnen zu.

Der 47jährige Ernest Luca Pashik hat keine Angst, fotografiert zu werden. Im Gegenteil, als er hört, daß die Presse im Haus ist, kommt er sofort. Aus einer Tasche holt er ein fleckiges, abgegriffenes Stück Papier hervor. Fast liebevoll streicht er es glatt, legt es auf den Tisch und schweigt. Es ist ein behördliches Dokument, ausgestellt in Tirana. Darin wird Pashik bescheinigt, ein unverbesserlicher Krimineller zu sein. Seine „Verbrechen“: wiederholte Fluchtversuche über die albanische Grenze und Wehrdienstverweigerung. Die Strafen: sechs Jahre, zwölf Jahre und noch einmal zwölf Jahre - davon vier Jahre ausgesetzt zur „Bewährung“. Doch Ernest Pashik spricht nicht über die Jahre in den Lagern von Enver Hoxha und Ramiz Alia.

Die Worte, die sich immer wiederholen, sind eine Danksagung an die Deutschen. Dank für die „gute Behandlung in der deutschen Botschaft“, Dank für die Aufnahme in Berlin, Dank für die Betreuung im Wohnheim. Doch auch er trägt sich mit dem Gedanken, nach Amerika weiterzureisen - Amerika, das große, freie Land.

Bei der Unterbringung der Flüchtlinge wurde darauf geachtet, daß die Familien zusammenbleiben. Christina und Marian Tahiri bewohnen mit ihrem 15jährigen Sohn Franko ein ungefähr 15 Quadratmeter großes Zimmer am Ende des Ganges. Frau Tahiri entschuldigt sich wortreich dafür, daß auf dem Tisch noch die Reste des Frühstücks stehen, die Gruppe habe heute eine gemeinsame Busfahrt unternommen, da sei sie noch nicht dazu gekommen, aufzuräumen - es wäre ihr äußerst peinlich.

Auch Familie Tahiri möchte nach Amerika, auch sie sagt, sie hätte dort Verwandte. Dort würde es für alle gut werden. Doch wie sie in die Staaten kommen sollen, wissen sie auch nicht. Vorerst sei man froh, hier in Deutschland aufgenommen worden zu sein - man werde weitersehen. Zu Hause lebte die Familie in einer Kleinstadt südlich von Tirana, hatte dort ein kleines Häuschen. „Doch“, so Christina Tahiri, „was nutzt uns ein Haus, wenn wir keine Freiheit, keine Demokratie haben!“ Nur Franko hatte Anfangs etwas Heimweh, war traurig, daß er seine Schulkameraden nun wohl nie wieder sehen werde. Doch inzwischen hat er neue Freunde gefunden Flüchtingskinder aus dem Kosovo. Mit deutschen Kinder habe er erst einmal Fußball gespielt - aber das war problematisch wegen der Sprache. „Eigentlich ist es hier sehr schön“, sagt Herr Tahiri zum Schluß. „Das Schlimme ist nur das Warten, Tag für Tag aufs neue - und man weiß doch eigentlich gar nicht worauf.“

Olaf Kampmann