22 Uhr: Bürgersteige hoch!

■ Kreuzberger Nächte sind lang - aber nur in geschlossenen Räumen / Tiefbauamt gegen Kneipiers, die nach 22 Uhr im Freien bedienen / Krisensitzung im Cafe Altenberg / Protest der Betroffenen

Kreuzberg. Offiziell gab es diese Verordnung schon immer - auch wenn sich kaum einer daran hielt: nach 22 Uhr hatten die Gaststätten die Bedienung im Freien einzustellen, wer danach noch ein Bier trinken will, hat sich in die geschlossenen Räume der jeweiligen Gastronomität zurückzuziehen. Besonders in SO36 gehören die Tische und Stühle vor den Kneipen schon seit ewigen Zeiten auch des Nachts zum unverwechselbaren Flair des Kiezes. Eine Molle beim Anblick des honiggelben Sommermondes - was kann schöner sein?

Doch damit will das Kreuzberger Tiefbauamt, zuständig für die Erlaubniserteilung zur „Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes“, nun offensichtlich aufräumen. Mit mehr Nachdruck kontrollieren Polizei und Tiefbauamt die Einhaltung der bisher locker gehandhabten Regelung, etliche Kneipen - unter anderem das „Cafe Anal“, das „Cafe Altenberg“ oder das „Panama“ - bekamen bereits Verwarnungen mit Ordnungsstrafandrohungen über den Tresen gereicht. Offenbar, so vermuten die Gastronomen, habe die Angstversion des bayerischen Ministerpräsidenten Streibl von einer „Hauptstadt Kreuzberg“ beim heimischen Tiefbauamt Wirkung gezeigt, das nun mittels restriktiver Maßnahmen „bayerische Ordnung“ im Kiez durchsetzen will.

Gestern nachmittag nun trafen sich die von der Ordnungswut des Amtes betroffenen SchankwirtInnen zu einer Krisensitzung im „Cafe Altenberg“ in der Görlitzer Straße. Nach intensiver Diskussion, in der einhellig das geschäftsschädigende Verhalten des Kreuzberger Tiebauamtes gegeißelt wurde, verabschiedeten die Anwesenden eine Resolution. „Der besondere Reiz dieses Bezirkes“, heißt es darin, „liegt nicht zuletzt in seiner Freizügigkeit und seinem mediterranen Flair. Kreuzberger Kneipen und Restaurants haben einen wesentlichen Anteil an der Attraktivität dieser ehemals 'letzten Ecke‘ von Berlin. Essen und Trinken auf Straßen und Plätzen sind ein entscheidender Teil des Lebensgefühls im Kiez und haben zum friedlichen Miteinander der verschiedenen Kulturen beigetragen. Genau das soll jetzt verschwinden. Die Saubermänner des 'Hauptstadt-Gedankens‘ machen mit ihrem lustfeindlichen Getue mobil.“

Gerüchte, daß die Gastronomen von SO36 aus Protest einen Tresen direkt vor dem Tiefbauamt aufstellen wollen, an dem erst ab 22 Uhr bedient wird, haben sich jedoch als nicht zutreffend herausgestellt.

Olaf Kampmann