Bhuttos Frauenpolitik fand keine Mehrheit

■ Ministerpräsidentin enttäuschte Erwartungen / Keine grundlegende Verbesserung für Frauen in Pakistan / Frauenverbände protestieren: Bhuttos Entlassung ist nicht verfassungsgemäß, werfen Bhutto aber „kosmetische Maßnahmen“ vor

Karachi (afp/taz) - Eigentlich müßten besonders die Frauen in Pakistan die Entlassung von Ministerpräsidentin Benazir Bhutto bedauern. Doch der von Präsident Ghulam Ishaq Khan erzwungene Rücktritt der ersten weiblichen Regierungschefin eines islamischen Staates scheint die Gemüter ihrer Geschlechtsgenossinen nicht zu bewegen: Sie waren schon lange von ihrer Ministerpräsidentin enttäuscht, die die Erwartungen und Hoffnungen der pakistanischen Frauen auf eine Verbesserung ihrer Stellung in der von Männern beherrschten Welt des Islams in ihrer 20monatigen Amtszeit nicht annähernd erfüllen konnte. Die bereits unter der fundamentalistischen Ägide des abgestürzten Präsidenten Zia -ul-Haq rührigste Frauengrupppe, das Woman Action Forum (WAF), warf der Harvard-Studentin denn auch schon kurz nach ihrem Amtsantritt vor, zuwenig für die Belange der Frauen zu tun.

„Wir hätten nichts dagegen gehabt, wenn Frau Bhutto durch ein Mißtrauensvotum verdrängt worden wäre,“ erklärt WAF -Aktivistin und Politologin Fareeda Shaheed gegenüber der taz. „Die Opposition bediente sich allerdings der unter Zia -ul-Haq erweiterten Vollmachten des Präsidenten, die mit der pakistanischen Verfassung von 1973 im Grunde nicht in Einklang zu bringen sind. Die Entlassung ist also keineswegs verfassungsgemäß und das beste Zeichen für die politische Schwäche der Opposition.“

Das Frauenaktionsforum hatte neben der Gruppe „Krieg gegen Vergewaltigung“ und dem Pakistanischen Frauenverband von Frau Bhutto die Aufhebung eines 1979 erlassenen Gesetzes (Hadood-Ordinance) gefordert, das für Frauen und Männer zwar strenge Strafen bei Ehebruch vorsieht, für Männer aber Straffreiheit bei Vergewaltigung einräumt, solange die Tat nicht von vier Personen bezeugt werden kann. Nach Informationen von WAF sitzen etwa 2.000 Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden, in pakistanischen Gefängnissen, weil sie ihre Unschuld nicht beweisen können und als Ehebrecherinnen angeklagt sind. Benazir Bhutto fehlte die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Gesetzesverordnung wieder aufzuheben.

Die Regierungschefin arrangierte sich lieber mit den orthodoxen Mullahs, vermied es, Männern die Hand zu schütteln und bedeckte ihr Haupt mit dem traditionellen Schleier, der Dopatta. Dies machten ihr die Frauengruppen zum Vorwurf. Den islamischen Fundamentalisten, die eine Frau an der Spitze der Regierung als Zumutung empfanden, waren diese Zugeständnisse hingegen nicht weitreichend genug. Sie forderten von der Ministerpräsidentin, die pakistanische Verfassung von 1973, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau garantiert, zu ändern und ihrer Auslegung der Shariat -Gesetze anzupassen.

Der Senat stimmte der Verfassungsänderung im Mai zu, nachdem langjährige Gegner der Gesetzesvorlage sich aus bislang unbekannten Gründen plötzlich als beherzte Befürworter entpuppt hatten. Die in Lahore ansässige englischsprachige Wochenszeitschrift 'Viewpoint‘ wertete die Unterstützung für die Shariat-Gesetze, die teils im Widerspruch zu den in der Verfassung verankerten Rechten stehen, bereits als einen Vorstoß in Richtung auf die Wiedereinführung des Kriegsrechts.

Eine Abstimmung im Parlament konnte Frau Bhutto bis zu ihrer Entlassung noch verhindern. „Die PPP-Regierung konnte sich in der Debatte um die Shariat-Gesetze allerdings zu keinem klaren Standpunkt durchringen und versäumte es, deutlich zu machen, daß die sogenannte 'Shariat Bill‘ nur wenig mit der islamischen Shariat zu tun hat“, erklärt WAF -Aktivistin und Politologin Fareeda Shaheed. „Im Gegenteil, bis vor kurzem beteuerte Frau Bhutto noch, sie wolle nicht als Gegenerin der Shariat in die Geschichte eingehen, erst vor einer Woche schwenkte sie um, das Gesetz dürfe unter keinen Umständen verabschiedet werden.“ Zweideutig soll sich auch ein führendes PPP-Mitglied verhalten haben. Der Chef der Sind-Provinz habe WAF bei einer für diese Woche angesetzten Demonstration gegen die Shariat-Gesetze seine Unterstützung versprochen, unmittelbar zuvor jedoch auf Anweisung seiner Regierung abgesagt.

Auch die Familienpolitik von Regierungschefin Bhutto enttäuschte die Frauen in Pakistan, die eine pakistanische UNO-Sekretärin als „ständig schwanger, arm und machtlos“ charakterisierte. Die Bevölkerung in Pakistan wächst jährlich um drei Prozent. Um die Jahrhundertwende wird es schätzungsweise 200 Millionen Pakistanis geben. Heute sind es 110 Millionen. Familienplanung ist für viele noch ein Fremdwort. Erschwerend kommt hinzu, daß 88 Prozent der Frauen Analphabetinnen sind. Von den Männern können immerhin 26 Prozent lesen und schreiben. Die Berufsaussichten für Frauen in Pakistan sind dementsprechend schlecht. Unter Benazir Bhutto wurden zwar die ersten weiblichen Piloten bei der Fluggesellschaft „Pakistan International Airlines“ ausgebildet. Doch Kritikerinnen warfen ihr den rein „kosmetischen“ Charakter solcher Maßnahmen vor, die an der Diskriminierung der Frauen nichts änderten.

So konnte sich die Ministerpräsidentin während ihrer Amtszeit nicht dazu durchringen, die UNO-Deklaration gegen die Diskriminierung der Frau, die bislang von 101 Staaten ratifiziert wurde, zu unterzeichnen. „Dafür hing sie zu sehr an der Macht“, kommentiert Fareeda Shaheed. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation amnesty international sind in Pakistan besonders Frauen von Menschenrechtsverletzungen betroffen.

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