200 Jahre „Gute Mutter“

■ Gespräch über die Entstehung eines kulturellen Leitbegriffs / Ärztliche Ratgeberbücher malten im 18. Jh. ein neues Bild der Frau

hierhin bitte die

dunkellockige Frau

Sabine Toppe Foto: W.S.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine wahre Flut von ärztlichen Ratgeberbüchern erschienen, in denen genau beschrieben ist, was „Gute Mütter“ ausmacht. Das mußte damals als neues Bild der Frau erst durchgesetzt werden. Bis heute aber ist die „gute Mutter“ ein allgemeines, ein kulturelles Deutungsmuster für alles weibliche Handeln geblieben. Die taz sprach mit der Bremer Pädagogin Sabine Toppe, die sich in ihrer Diplomarbeit mit den Ursprüngen dieses Leitbildes beschäftigt hat. Sabine Toppe hat für ihre Arbeit den mit 5000 Mark dotierten Gerhard-Wachsmann-Preis der Oldenburger Universitätsgesellschaft bekommen.

taz: Was hat dich an die Arbeit gelockt?

Sabine Toppe: Ich erlebe ja gerade an einer Freundin, was es auch heute noch für einen Rummel gibt, wenn Frauen Mütter

werden. Da hagelt es Ratschläge zum Thema Ernährung, und Aufregung ist angeblich zu meiden; das geht bis zu Anweisungen, was frau dann denken soll und was besser nicht.

Und daß sie sich vor schauerlichen Orten hüten soll?

Auch das noch. Alles das ist Teil des speziellen Bildes der „Guten Mutter“. Und die Grundlagen dafür sind in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts geschaffen worden. In erster Linie von Ärzten...

Ärzten?

Ja, das war auch für mich überraschend. Davon wußte man, zumindest in der Pädagogik, noch nichts. Es gab zu dieser Zeit eine Schwemme von ärztlichen Ratgeberbüchern, während vorher Frauen und Kinder für die Medizin kein Thema gewesen waren. Da stand drin, was Frauen, vom Augenblick der Zeugung an, zu tun und zu lassen haben. Da ging es schon auch mal um die Wahl des richtigen Ehegatten. In all diesen Büchern wird die Mutterschaft, die „Mutterliebe“ zum zentralen weiblichen Lebensprinzip erhoben. Das ist eine historisch relativ neue Erscheinung, nur mittlerweile zum kulturellen Allgemeingut geworden.

Was hatten früher Mütter und Kinder miteinander zu tun?

Die Kinder sind eben versorgt worden. Zum Teil auch sehr mangelhaft. Bekannt ist das Beispiel des Wickelns. Wenn man Kinder so fest wickelt, daß sie bloß noch nach Luft japsen, stören sie natür

lich nicht weiter. Zumal, wenn man ihnen noch Schnaps gibt oder Mohn und sie dann an Haken in die Ecke hängt. Das gab es häufig. Und die Ernährung war schlecht. Das ergab eine Kindersterblichkeit von rund 30 Prozent. So war's, das galt als normal.

Und dann hat man pötzlich die Kindheit entdeckt?

Ja. Mein Gedanke war immer, daß dazu auch die Entdeckung der Mütter gehört.Die mußten zu solchen ja erst erzogen werden. Alle Ratgeberbüchern bemühten sich vor allem durchzusetzen, daß Mütter selber stillen...

Warum gerade das Stillen?

Wer die Frau an das Kind binden und Mütterlichkeit als was ganz Natürliches erscheinen lassen will, muß schon bei der einzigen Fähigkeit anfangen, die die Frau exklusiv hat.

Und wie also haben die Ärzte das angefangen?

Es gab da ein Zusammenspiel von Drohungen und Versprechungen. „Stillen ist gesund“, hieß es, und es mache schön. Eine Frau, die nicht stillt, die würde krank und häßlich, bekäme eher Brustkrebs, und vor allem verbreitete man, daß Ehemänner nur stillende Frauen lieben.

Mir fiel auf, wie oft in den Ratgebern die Sexualisierung des Stillens betrieben worden ist.

Damit sind sie im Lauf der Zeit immer kühner geworden. Das gehört zum versprochenen Lohn. Ein anderes Mittel war die abenteuerlich konstruierte Lehrmeinung, daß alles, was die Mutter macht, denkt, fühlt, über die Milch auf das Kind übertragen wird. Dahinter stand schon auch, daß es als Ernährung noch keine Alternative gab. Da mußte das historisch neue Postulat, daß jedes empfangene Kind auch überleben solle, auf die Muttermilch bauen.

Aber genau diese Abhängigkeit des Kindes von der Mutter war ja auch erwünscht.

Ja, die hat man dann auch reichlich mystifiziert. Andere Faktoren, z.B. Hygiene, ignorierte man zunehmend. Das Kind, hieß es, sei auf Leben und Tod der Frau anheimgegeben.

Woher weht da das Pathos?

Das war auch wieder ein bißchen Lohn und Lockung für „mütterliches Gefühl“, eine Ersatz-Bestätigung, die Verantwortlichkeit produziert.

Was macht dann die sogenannte „Gute Mutter“ aus?

Die „Gute Mutter“ hat nichts als das Wohlergehen ihrer Kinder im Sinn, und sie hält das für ihre natürliche Bestimmung, oder, wie man damals sagte, für „das Eigenste im Weibe“. Und sie sorgt dafür, daß gute Staatsbürger aus den Kindern werden.

Warum hat man nicht einfach weiterhin ein Drittel der Kinder sterben lassen und aus dem Rest

gute Staatsbürger gemacht?

In der bürgerlichen Gesellschaft war Bevölkerungswachstum erwünscht, in Militär und Produktion brauchte man Leute. Ein anderer Gesichtspunkt ist: Um die fragliche Zeit, also in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts, da entstand ja erst die „bürgerliche Familie“, vorher gab es von der Familie noch nicht einmal das Wort. Da hat es das „Haus“ gegeben. Dann aber wurden immer größere Teile der Produktion aus dem Haus ausgelagert, und im selben Maß verlor die Frau ihren Status als „Hausmutter“. Am Anfang dieses Prozesses unterstand ihr noch die Organisation eines umfangreichen Hausstandes mit Gesinde und komplexer Vorratswirtschaft, am Ende fand sie sich in der Familie, von allen gesellschaftlich relevanten Tätigkeiten getrennt und hatte als Ersatz ihre Kinder.

Das ist auch eine neue Qualität patriarchaler Unterwerfung ge

wesen.

Ich hab mich gefragt, warum haben die's angenommen. Einmal gibt das ja auch Macht, die „Macht der Mutterschaft“. Und dann lief viel über Druck, auch staatlichen Druck. Im preußischen Landrecht taucht 1794 die gesetzliche Verpflichtung zum Selbststillen auf.

Du schreibst in deiner Arbeit, das Bild der „Guten Mutter“ sei nach und nach ein allgemeines „kulturelles Deutungsmuster“ geworden. Warum Deutungsmuster, warum kulturell?

Ganz einfach gesagt: weil dieses Bild unsere ganze Kultur bestimmt. Alles, was uns Frauen betrifft, baut heute noch darauf auf. Diese Ärzte waren erfolgreich, was Umsetzung und Verbreitung ihrer neuen Anthropologie betrifft. Es sind aus dem fraglichen Zeitraum 156 dieser Ratgeberbücher bekannt, ich habe noch ein paar mehr gefunden, und die sind in hoher Stückzahl verbreitet und

zum Teil achtmal, elfmal neu aufgelegt worden.

Das muß ja noch nichts heißen.

Das allein nicht. Es ist anfangs auch sicher nur eine begrenzte Schicht Bürgersfrauen erreicht worden. Aber im Lauf des 19. Jahrhunderts kann man sehen, daß die Frauen des Bürgertums generell dieses Mutterbild akzeptiert haben, daß sie sich an die Ärzte wenden, deren Kompetenz in der Geburtshilfe anerkennen (auch das ist ja neu). Und ab Mitte, vor allem ab Ende des 19. Jahrhunderts gingen Bürgersfrauen, auch aus der Frauenbewegung, raus, in die Fabriken und machten Kurse für die Arbeiterfrauen. Und viel lief dann auch über die Institution des Hausarztes, die sich zur gleichen Zeit herausgebildet hat. Da war das Bild der „Guten Mutter“ Allgemeingut, war Vorbild geworden, und alles Verhalten wurde nach seiner Maßgabe interpretiert.

Fragen: scha